News aus dem Thurgau

Der höchste Feiertag der Evangelischen

von Wilfried Bührer
min
23.03.2024
Es ist noch nicht so lange her, da füllten sich die protestantischen Kirchen hierzulande am Karfreitag bis auf den letzten Platz. Das hatte vor allem mit konfessioneller Profilierung zu tun.

Weil die Katholiken diesen Tag nicht als Feiertag begingen, bekannten sich die Evangelischen zu ihrer Konfession mit fleissigem Kirchgang. Kam dazu, dass die am Palmsonntag frisch Konfirmierten am Karfreitag erstmals zum Abendmahl kamen. Und die protestantische Passionsmusik war und ist ergreifend. Immer wieder kann man auch heute noch lesen, Karfreitag sei für die Protestanten der höchste Feiertag. Stimmt das?

Karfreitag und Ostern
Wenn man auf die «Abstimmung mit den Füssen» abstützen würde, wäre weder Karfreitag noch Ostern, sondern Weihnachten der höchste Feiertag, genauer: Heiligabend. Da füllen sich die Kirchen. Biblisch betrachtet ist allerdings das Osterfest, und zwar Karfreitag und Ostern zusammen, das höchste Fest im Kirchenjahr.

Keine Frage: Die Evangelien räumen dem Leiden und Sterben von Jesus grossen Platz ein, und auch die Auferstehung ist im Neuen Testament überaus gut bezeugt. In den Ostkirchen wird Ostern intensiv gefeiert: «Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden», spricht man sich zu. Auch im Thurgau kann man diese Art von Oster feier, etwa mit den Ukrainern zusammen, so erleben. Recht haben sie.

 

Ökumenischer Kreuzweg

Seit Jahren machen sich Christinnen und Christen in der Region Sulgen auf einen ökumenischen Kreuzweg. In diesem Jahr führt er am Karfreitag um 17 Uhr von der evangelischen Kirche in Sulgen zur katholischen Kirche in Bürglen. Das Kreuz begleitet die Pilgernden auf ihrem Weg. Verschiedene Stationen erinnern an das Leiden von Jesus und stellen einen aktuellen Bezug her. Der Kreuzweg wird von den evangelischen Kirchgemeinden Erlen, Bürglen und Sulgen-Kradolf, sowie von der Katholischen Kirchgemeinde Sulgen organisiert. In den Anfängen ab 2009 war der Kreuzweg ein Jugendanlass. Seit 2014 sind alle Generationen dabei. (pd)

 

Das Erbe der Reformation
Die Reformatoren gingen vom Grundsatz aus: Es gelten alle Tage und für alle Christen dieselben Regeln. Darum wurden die strengen Fastenregeln durchbrochen, und im Gegenzug verlor die Fasnacht an Gewicht. Warum soll am einen Tag erlaubt sein, was am folgenden Tag Sünde ist? Und für die Pfarrer wurde es möglich zu heiraten. Warum sollen Pfarrer nicht tun dürfen, was allen andern erlaubt ist? Das hat durchaus eine Logik. Und so wurden auch Karfreitag und Ostern in den Gottesdiensten von der Form her ganz ähnlich gefeiert, einfach mit unterschiedlichem Predigtinhalt. Besondere Akzentuierungen wie etwa ein Kreuzweg am Karfreitag oder eine Osternachtfeier sind neueren Datums.

Nicht alles einebnen
Die «katholische Logik» hat auch etwas für sich. Muss alles immer gleich sein? Hat nicht gerade der pointierte Wechsel seinen Reiz? Das Einebnen aller Gegensätze kann zu einem freudlosen Alltag führen, oder, heute wohl eher: zu einer Party-Zeit während des ganzen Jahres. Da lobe ich mir dann halt doch den strengen protestantischen Karfreitag, an dem nicht ein Event nach dem andern stattfindet und auch die Konsumwut etwas eingedämmt ist.

Die Pandemie hat es gezeigt: Flächendeckende Stille oder wenigstens Verlangsamung kann heilsam sein. Umso mehr werden nach den Einschränkungen die kleineren und grösseren Freuden wieder geschätzt. Kein Ostern ohne Karfreitag, und kein Karfreitag ohne Ostern.

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Seit kurzem schreibt Georg Stelzner für den Kirchenboten. Der 66-jährige Journalist aus Sulgen ist Fussballfan und leidenschaftlicher Leser lateinamerikanischer Literatur – wenn er überhaupt dazu kommt.