Zwingli, Wurst und «Re-Förmchen»
Das Lutherjahr steht an. In knapp sechs Monaten geht es offiziell los mit Grossveranstaltungen wie dem Europäischen Stationenweg, der Anfang November in Genf startet. Es folgt die «heisse Phase» mit der Ausstellung «Tore der Freiheit» in Wittenberg und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin, zu dem mehr als hunderttausend Besucher erwartet werden.
Bereits jetzt läuft das Werbegeschäft in Deutschland auf Hochtouren. Die Evangelische Kirche vermarktet ihren Reformator mit rund 80 Produkten. Neben Keksen, Frühstücksbrettchen, Mousepads, Schlüsselanhängern und Magneten zum Beispiel auch mit Socken, die das Luther-Zitat «Hier stehe ich, ich kann nicht anders» ziert. Und natürlich mit der berühmten Playmobil-Figur von Martin Luther mit Gelehrtenmantel und Federkiel.
Das «Merchandising» zum Reformationsjubiläum hat auch die Schweiz erfasst. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund bietet Schokolade, Kugelschreiber, Tassen, Pins und Bastelbögen an, auf denen das «R», das Logo für das Schweizer Reformationsjubiläum, prangt. Und die Zürcher Landeskirche wirbt mit «ihrem» Huldrych Zwingli, dem bekanntesten Deutschschweizer Reformator. Neben der Tasse, dem Brillentuch, der Weinflasche, dem Handwärmer und den Autoklebern sticht der Guetzli-Ausstecher in Form von Zwinglis Kopf heraus.
«Zwingli hatte Sinn fürs Kreative»
Die Idee dazu kam Michael Mente, dem Zürcher Beauftragten für das landeskirchliche Reformationsjubiläum, als er die entsprechende Luther-Form sah. «Mir ist es ein Anliegen, auch die sinnliche Komponente des Jubiläums zu betonen.» Zwingli sei «ein Mensch mit Leidenschaften und Sinn fürs Kreative» gewesen. «Das zwinglianische lustfeindliche Zürich ist eine Erfindung der Tradition, nicht der Geschichte.» Mente taufte die Zwingli-Form «Re-Förmchen». Damit will er die Reformation nicht verniedlichen. Aber «etwas Humor tut uns allen gut».
Keine Heldenverehrung
Man wolle mit den Zwingli-Artikeln keinen Personenkult und keine Heldenverehrung betreiben, so der Reformationsbeauftragte. Das hätte der Reformator nicht gewollt. Die Form stehe symbolisch für das Jubiläum, erklärt Michael Mente. «Es geht uns um die Konturen des Glaubens, an die Zwingli uns erinnerte, und darum, was unser reformiertes Profil ausmacht. Jeder kann nach seinen Möglichkeiten beitragen – und mit den anderen teilen.» So, wie man es eben mit Guetzli mache. Rund 600 Stück der Formen haben Kirchgemeinden und Private aus der ganzen Schweiz bisher bestellt.
Nicht nur der Guetzli-Ausstecher, auch die anderen «Gadgets» vermitteln eine Botschaft. Über die Artikel könne man mit Menschen über die Reformation und ihre Anliegen ins Gespräch kommen, sagt Mente. «Wir wollen im Jubiläum nicht nur mit uns selbst sprechen.» Die Brillentücher seien der am meisten nachgefragte Werbeträger. Ein praktischer Gegenstand, der im täglichen Gebrauch Gespräche auslösen könne. «Wer kann schon etwas gegen das Streben nach klarer Sicht haben?»
Kein Zwinglischwert, aber eine Wurst
Das Bild Zwinglis verbindet man nicht nur mit der Zürcher Bibel, sondern auch mit dem Schwert. Wäre das nicht auch etwas fürs Rollenspiel im Kinderzimmer? «Das Schwert des grimmig Richtung Innerschweiz blickenden Bronzezwingli vor der Zürcher Wasserkirche ist heute in der Tat erklärungsbedürftig», meint Michael Mente. «Jubiläen sind immer Zeichen ihrer Zeit.» Die Waffe sei dem Reformator im 19. Jahrhundert in romantischer Heldenverklärung in die Hand gedrückt worden. Ein Schwert eigne sich denkbar schlecht für ein zeitgemässes Reformationsgedenken und erinnere an «Verletzungen». Man wolle das Jubiläum bewusst ökumenisch und versöhnend angehen. «Ein Zwinglischwert gibt es ganz bestimmt nicht», sagt Mente.
Hingegen gibt es eine Zwingliwurst. «Bei der Reformation ging es schliesslich um die Wurst, genauer ums Wurstessen», betont Mente. Dieser «ungeheuerliche Akt des Fastenbruchs» sei sein Lieblingsereignis. «Das Abendmahl parodierend fand ein im höchsten Mass partizipativer Akt statt. Jeder in der konspirativen Runde beim Zürcher Buchdrucker Froschauer hatte Anteil und verinnerlichte mit einem Bissen Wurst dieses reformierte Bekenntnis: nur Gottes Wort.» Im Gedenken an diesen «Urknall der Reformation» werde das Wurstessen an verschiedenen Orten in der Kampagne thematisiert und inszeniert. Eine Zwingliwurst kommt aus Appenzell Ausserrhoden. Auch das Kloster Kappel hat schon eine aufgetischt. Weitere dürften folgen, so Mente. Mehr sinnliche Genüsse sind unterwegs, der Zwingliwein «aus der Produktion eines Nachfahren der Zwinglifamilie» und ein Zwinglibier aus dem Toggenburg.
Luther in der Badewanne
Trotzdem: bunte Spielfiguren aus Plastik und Guetzli-Ausstecher – das weckt bei manch ernsthaftem Reformierten Bedenken oder gar die Erinnerung an Kindergeburtstage. Es komme sogar noch dicker, meint Michael Mente: Erst vor ein paar Tagen habe er eine «Badewannenquietschente» in der Hand gehalten, die Hut und Gewand von Luther trägt. Von Zwingli werde es weder eine Playmobilfigur noch eine Badeente geben, beruhigt der Reformationsbeauftragte. Die Jubiläumskampagne bestehe aus weit mehr als Werbeartikeln. Diese «Gadgets» dürften aber ruhig originell sein. «Seien wir doch dankbar dafür, dass so Reformation, Kirche und Glauben ins Gespräch kommen, auch in kirchenfernen und jüngeren Kreisen.» Und warum nicht am Kindergeburtstag? Wenn es gelinge, mit dem Jubiläum auch Kinder anzusprechen und die Kleinen dafür zu begeistern, sei das doch ein Erfolg.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Karin Müller / Kirchenbote / 13. Juni 2016
Zwingli, Wurst und «Re-Förmchen»