Zwei Frauen – zwei Meinungen
«Religiöse Identität macht sich nicht an einem Stück Stoff fest», ist die Muslima Saïda Keller-Messahli überzeugt. Die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam tritt in der Öffentlichkeit als eine der schärfsten Kritikerinnen des Kopftuchs auf – und sie befürwortet ein Burkaverbot. Für die Muslima ist das Kopftuch kein Bestandteil einer frei gewählten religiösen Praxis, sondern politisches Programm: «Das Kopftuch steht für eine Ideologie, die von Menschenrechten nichts hält.»
Der Schleier sei vielmehr ein Medium der Kontrolle, welches Islamisten ihren Töchtern von Kindesbeinen an aufdrängten. Entsprechend skeptisch gibt sich Keller-Messahli gegenüber der Vorstellung, dass Musliminnen das Kopftuch auch aus freien Stücken tragen könnten – sie werde regelmässig von Frauen kontaktiert, die in einer repressiven Stimmung aufwüchsen: «Von freier Wahl zu sprechen ist da fragwürdig.»
Den Gedanken, dass es auch feministische, emanzipative Deutungen des Kopftuches geben könnte, lehnt sie entschieden ab: «Der konservative Islam kennt den Begriff individueller Freiheit nicht. Ich sehe zudem nicht, wie das Kopftuch mit der Idee von Gleichberechtigung zusammengehen kann.» Trotz aller Kritik am Kopftuch – Keller-Messahli bezeichnet sich selbst als Muslima. Für sie ist klar: Das Kopftuch ist kein islamisches Gebot. Es sei nirgends im Koran festgeschrieben.
«Schonhaltung»
Keller-Messahli befürwortet ein Verhüllungsverbot, wie es die Burkainitiative vorsieht – auch wenn ihr bewusst ist, dass die treibenden Kräfte mit weiblicher Emanzipation wenig am Hut haben: «Ich bin keiner politischen Partei verpflichtet und es stört mich nicht, dass ich mal gegen rechts, mal gegen links Position beziehe.»
Den Vorwurf linker und liberaler Kreise, dass die Initiative Muslime diskriminiere, lässt sie nicht gelten. Im Gegenteil: Die «Schonhaltung», die die Verbotsgegner den Muslimen entgegenbrächten, hält sie für paternalistisch: «Muslimischen Frauen wird weder Wahrheit noch Freiheit zugemutet. Sie bleiben im Namen der Toleranz Opfer einer repressiven Ordnung.»
Sachlichkeit und Diskussion statt Verbot und Provokation
Während Keller-Messahli das Burkaverbot als emanzipatorische Massnahme versteht, erteilt Doris Strahm der Initiative eine klare Absage. Auch sie argumentiert dabei mit der Selbstbestimmung der Frau: «Keine Frau darf vom Staat gezwungen werden, wie sie sich zu kleiden hat.»
Die katholische Theologin und Feministin macht sich stark für das Selbstbestimmungsrecht von Burkaträgerinnen – auch wenn sie selber die Entscheidung für den Schleier nicht nachvollziehen kann. Sie setzt auf Diskussion, Aufklärung und Sachlichkeit – und die emanzipativen Kräfte innerhalb der muslimischen Gemeinschaft.
Strahm findet entsprechend deutliche Worte für das Burkaverbot, wie es die Initiative des Egerkinger Komitees vorsieht: Es sei «absurd», «ungerechtfertigt» und «paternalistisch»: Absurd, weil «die Wahrscheinlichkeit, einer Burkaträgerin auf der Strasse zu begegnen, gegen null tendiert.» Sei dies aber doch einmal der Fall, handle es sich zumeist um Touristinnen oder Konvertitinnen – und gerade letztere trügen den Schleier aus Überzeugung: «Frauen, die ihren Schleier selbst wählen, müssen vom Staat nicht davon befreit werden.»
Schon heute sei es zudem strafbar, eine Frau zum Burkatragen zu zwingen. Wie das Minarettverbot, sei die Anti-Burkainitiative reine Symbolpolitik, die die Muslime diskriminiere: «Es nennt die Burka, zielt aber auf den Islam als Ganzes.» Gegen das Verbot ist sie auch, weil eine offene und liberale Gesellschaft keine Kleidervorstellungen erlassen dürfe.
«Als Feministin wehre ich mich gegen einen solchen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Frauen dürfen weder zur Verhüllung noch zur Enthüllung gezwungen werden – weder von ihren Männern, ihren Familien noch vom Staat.»
Glaube an die progressiven Kräfte
Strahm glaubt an die progressiven Kräfte innerhalb der muslimischen Gemeinschaft: «Emanzipative Impulse müssen zuallererst von den Muslimen selbst kommen. Durch Glaubensschwestern etwa, die eine andere Auslegung des Islam vorleben.»
Das heisse allerdings nicht, dass der Staat muslimische Frauen, die familiärer Repression ausgesetzt seien, allein lassen solle. Im Gegenteil: Strahm wünscht sich mehr sachliche Diskussion, öffentliche Aufklärung, und genug Anlaufstellen und Unterstützungsangebote für betroffene Frauen.
Ein Verbot ist für Strahm der falsche Weg: «Man kann doch Frauen nicht per Zwang befreien.» Ein Burkaverbot sei paternalistisch, da es allen Burkaträgerinnen unterstellt, sie seien fremdbestimmt. Und im Falle einer Zwangsverschleierung treffe das Burkaverbot die Falschen – nämlich die «Opfer», das Umfeld hingegen bliebe unbestraft. Ein Verbot triebe zudem die Frauen weiter in die Isolation.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Susanne Leuenberger / ref.ch / 24. August 2016
Zwei Frauen – zwei Meinungen