Zeichen der Macht
Herr Kunz, im Friedhof Friedental in Luzern sollte die Abdankungshalle konfessionsneutral gestaltet werden. Eine Debatte darüber entbrannte. Wundert Sie das?
Nein, der Inhalt der Debatte an sich ist ja nicht neu. Sie hat Ähnlichkeiten mit der Gipfelkreuz-Debatte oder dem Weihnachtsbaum-Streit.
Was ist allen Debatten gemeinsam?
Im Grunde geht es immer um die Frage: Demonstrieren wir weiter christliche Dominanz? Machen wir sie unsichtbar? Oder neutralisieren wir sie, indem wir beispielsweise Räume multireligiös gestalten?
Welche Lösung gefällt Ihnen besser?
Per se ist keine besser oder schlechter als die andere. Wenn ein Raum jedoch Geschichte in sich trägt – und das ist im Friedental der Fall – ist es vielleicht nicht das Schlauste, das einfach zu überpinseln. Man muss solche Entscheidungen immer in ihrem Kontext treffen. Wenn ein Raum neu gebaut wird, ist die Ausgangslage eine andere, als wenn er seit Jahrzehnten existiert.
Warum hinterfragen wir denn die Daseinsberechtigung dieser Symbole überhaupt?
Die Säkularisierung ist auf dem Vormarsch, die Konfessionslosigkeit nimmt zu. Die Menschen wollen sich nicht mehr vorschreiben lassen, was sie glauben sollen. Die Nähe zur institutionalisierten Religion hat abgenommen, man geht auf Distanz. Das bedeutet nicht, dass die Menschen deshalb weniger spirituell sind.
Also werden diese Debatten nicht aufhören?
Sie sind sicher keine Modeerscheinung. Die christliche Religion hat demografisch ein Problem. Zwar schrumpft die Kirche langsamer als gedacht, aber die Mehrheiten werden sich zwangsläufig zugunsten der Konfessionslosen verschieben.
Sehen Sie die christlichen Werte der Schweiz in Gefahr?
Bis jetzt nicht. Das Christliche geniesst eine hohe Akzeptanz. Die Mehrheit der Bevölkerung ist Mitglied einer Kirche. Mit anderen Worten: In diesem Land mutet man einer Minderheit die christliche Kultur der Mehrheit noch zu. Ändert sich das Zahlenverhältnis, wird sich auch die Frage nach der Zumutbarkeit von christlichen Symbolen im öffentlichen Raum verschärfen. In einem säkularen Umfeld wie im Osten Deutschlands mutet man umgekehrt Christen zu, in einer religiös neutralisierten Umgebung zu leben. So weit sind wir in der Schweiz aber noch nicht. Und werden es so schnell auch nicht sein.
Wie viel Religion steckt überhaupt in diesen Debatten?
Die religiöse Komponente ist natürlich da. Aber die Sache ist komplexer. Auch beim Friedental-Streit geht es nicht um die reinen Symbole. Es geht um Gefühle von Heimat und Zugehörigkeit.
Warum ist insbesondere das Kruzifix immer wieder unter Beschuss?
Das Kreuz polarisierte schon immer. Weil es einerseits das Zeichen einer verfolgten Religion ist, auf der anderen Seite aber auch aktive Gewalt verkörpert. Denken Sie nur an die Kreuzzüge. Am Kreuz entladen sich viele Emotionen. Es ist ein Konzentrat, die Verdichtung des Christlichen. Es gibt kein anderes Symbol, welches das Christliche so konzentriert sichtbar macht.
Inwiefern geht es dabei auch um die Macht des Stärkeren?
Es geht in jedem Fall um symbolische Präsenz der Kirche im öffentlichen Raum. Zum Beispiel haben die christlichen Kirchen in der Schweiz immer noch das Recht, den öffentlichen Raum mit Glockengeläut zu beschallen. Das darf in der Schweiz sonst keine andere Religionsgemeinschaft. Oder denken Sie an die Minarett-Initiative: Auch hier ging es um die Sichtbarkeit einer (anderen) religiösen Kultur. Dabei vergessen wir rasch, dass wir in der Schweiz innerchristlich die gleiche Debatte hatten. Bis 1807 durften im Kanton Zürich keine katholischen Gottesdienste gefeiert werden.
Sind Debatten um Symbole ein rein katholisches Problem?
Die reformierte Kultur ist zurückhaltender, weil das Ritual eine weniger starke Symbolik und Relevanz hat. Wir haben ein anderes Verhältnis zur symbolischen Kommunikation. Wenn es aber um Raumumnutzungsfragen geht, sind wir «katholischer», als wir meinen. Auch wir haben eine sakrale Raumkultur.
Sollten christliche Symbole aus dem öffentlichen Raum verschwinden?
Natürlich nicht. Wer alle Spuren tilgen will, vertritt ein quasireligiöses Neutralitätsdogma. Die Idee, dass Symbole Gefühle verletzen, kann abstruse Züge annehmen. Wichtig ist der Grundsatz der positiven Religionsfreiheit, dass Religionszugehörigkeit dem Individuum keine Nachteile beschert und auch ein beschränktes Recht auf symbolische Präsenz im öffentlichen Raum kennt.
Wie wichtig ist es für die Kirche als Institution, christliche Symbole sichtbar zu machen?
Die christliche Religion hat ein universales, öffentliches Selbstverständnis. Solange wir in einer christlichen Kultur leben, muss es das Anliegen der Kirchen sein, dass ihre Symbole nicht privatisiert werden. Letztlich geht es beim Interesse, Kirche zu zeigen, darum, die Botschaft hör- und sichtbar zu machen.
Es gab schon parlamentarische Initiativen, die christliche Symbole im öffentlichen Raum vorschreiben wollten. Ist das sinnvoll?
Eher irritierend. Wenn man etwas durch Gesetze schützen muss, wird es museal. Ich glaube, letztlich steckt im Symbol eine gewisse Interpretationsmacht, und diese nährt sich aus der Gemeinschaft, die sagt: Dieses Symbol hat Bedeutung für uns. Das gesetzlich vorzuschreiben, ist problematisch.
Haben Sie eine Lösung für uns parat?
Auch wenn Sie überall totale Neutralität haben, werden die Konflikte nicht verschwinden. Konflikte lösen sich auch nicht, indem man sie ignoriert. Es braucht Geduld, die strittigen Punkte der Symbolökonomie auszuhandeln. Wir sind eine Kultur, eine Gesellschaft, eine Kirche im Übergang.
Können religiöse Symbole in der Trauer überhaupt helfen?
Wenn jemand keinen Bezug zur Geschichte und Spiritualität hat, wird ihn auch in der Trauer ein Kreuz nicht trösten können. Vieles aus der biblischen Tradition ist für solche, die diese Zeichen nicht lesen können, gar nicht mehr erkennbar. Am besten wäre es, mehrsprachig zu kommunizieren und eine Sprache zu finden, die alle verstehen. Es gibt aber auch eine elementar-religiöse Zeichensprache, die Herz und Verstand anspricht und ästhetischen Kriterien genügen kann.
Und die wäre?
Wasser, Feuer, Himmel, Sonne, Mond und Sterne. Oder das Gras, die Vögel und die Engel. Das verstehen alle.
Ralph Kunz, 51, ist Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät Zürich.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Anna Miller / Kirchenbote / 28. April 2016
Zeichen der Macht