News aus dem Thurgau
Ausstellung «The End of Aging»

«Wollt ihr wirklich ewig leben?»

von Nicole Noelle
min
01.07.2024
Die Frage der Unsterblichkeit beschäftigt die Menschheit seit jeher. Dank neuer Medizin und Biotechnologie werden wir immer älter. Michael Schindhelm, Künstler und ehemaliger Intendant des Theaters Basel, beleuchtet in der Ausstellung «The End of Aging» die Konsequenzen eines unendlich langen Lebens.

«We will die young after a long life». Jung sterben nach einem langen Leben? Dieser kryptische Satz steht auf den verspiegelten Fensterscheiben des unscheinbaren Hauses gegenüber dem Universitätsspital Basel. Darin befinden sich die Räume der Kulturstiftung Basel H. Geiger. Zögernd drückt man die Türklinke und betritt einen heruntergekommenen Raum mit verschmierten Wänden und Stühlen. Elektrokabel hängen lose von der Decke, Überwachungsmonitore flackern unruhig. Man ist im Empfangsraum eines verlassenen Krankenhauses.

Mit diesem apokalyptischen Szenario beginnt die Ausstellung «The End of Aging». Der Künstler ist kein Unbekannter: Michael Schindhelm kehrt für dieses Projekt zum Thema Langlebigkeit nach 18 Jahren in die Rheinstadt zurück, die er als Direktor und Intendant des Theaters Basel so lange mitgeprägt hat.

Mitten im verwüsteten Empfangsraum steht Michael Schindhelm in braunem Pullover und brauner Hose neben einer grossen, leuchtend grünen Schildkröte. Umringt von einer Gruppe Besucherinnen und Besucher beschreibt er seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Langlebigkeit, die er in Zusammenarbeit mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern realisiert hat.

Er zeigt auf die Schildkröte. Die Schildkröte sei jung im Alter von mindestens 255 Jahren gestorben. «Lebewesen mit einem sehr langsamen Stoffwechsel haben in der Regel eine längere Lebensspanne», sagt Schindhelm. «Mit anderen Worten: Wer besonders intensiv lebt, stirbt früher. Wer dem Leben aus dem Weg geht, lebt interessanterweise oft länger.» Soweit Schindhelms Binsenweisheiten.

 

Michael Schindhelm, Sie waren Theaterdirektor, sind Künstler, Autor und Filmemacher. Nun haben Sie eine Kunstausstellung konzipiert. Wie kam es dazu?

«Während der Pandemie konnte ich einen Film über die Entwicklung des ersten Covid-Impfstoffs drehen. Das hat mir gezeigt, welche enormen Entwicklungen in der Biotechnologie stattfinden. Es ging zwar um die Bekämpfung der Pandemie, aber letztlich um Technologien, die im Kampf gegen Krebs und viele Volkskrankheiten eingesetzt werden.

Es ist beeindruckend, wie die Wissenschaft unsere Gesellschaft massgeblich beeinflusst. Ohne die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wäre die Pandemie nie zu Ende gegangen. Die Pandemie hat auch gezeigt, dass wir uns in einem Stresstest befinden. Wir wurden vor gesellschaftliche und medizinische Herausforderungen gestellt, die damit zu tun haben, dass das Konzept des heutigen Gesundheitswesens nicht wirklich aus dem frühen 21. Jahrhundert stammt, sondern irgendwo aus dem 20. Und um diese Lücke zu schliessen, müssen wir im Gesundheitsbereich sehr viel innovativer werden.»

 

Foto: Nicole Noelle

Foto: Nicole Noelle

 

Vom Empfangsraum führt eine verschmierte Metalltüre in einen dunklen Gang, in dem nur ein schwach flackerndes Licht Orientierung gibt. An der Decke blinkt rot ein Alarm. Warum hat er ausgerechnet ein Krankenhaus gewählt, wenn es doch um Langlebigkeit geht?, will eine Besucherin wissen. Auf diese Frage gebe es unterschiedliche Antworten, erklärt Schindhelm. Manche sagen, wenn man nicht mehr alt werde, brauche man auch keine Spitäler mehr, man werde ja nicht mehr krank. Andere meinen, das könnte ein Symbol dafür sein, wie es um unser Gesundheitssystem bestellt ist oder wohin es sich in den nächsten Jahren entwickeln könnte.

 

Michael Schindhelm, in «The End of Aging» geht es um die Langlebigkeitsforschung. Warum haben Sie sich für dieses Thema entschieden?

«Als mich die Kulturstiftung Basel H. Geiger angefragt hat, die Ausstellung zu machen, habe ich sofort gesagt, dass ich gerne etwas über Life Sciences machen würde. Schliesslich sind wir in Basel und in Basel dreht sich fast alles um Life Sciences. Ich habe mich für das Thema Langlebigkeit entschieden, weil ich damals schon vermutete, dass das ein besonders heisses Eisen sein wird: Die Frage, die sich stellt, lautet, wollen wir das, dürfen wir das überhaupt? Dürfen wir unseren Körper so manipulieren, dass wir viel älter werden? Ist das moralisch vertretbar, wenn wir jetzt schon eine Überbevölkerung haben? Haben die kommenden Generation nicht enorme Nachteile, wenn wir die immer älter werden und die wirtschaftlichen Folgen des Alterns immer drastischer.

 

«Wollt ihr wirklich ewig leben?» fragt provokativ ein Graffiti an der Wand. Es ist eines von vielen kleinen Kunstwerken und Kritzeleien. Michael Schindhelm hat die Spraykunst unter anderem mit Black Tiger, Basler Mundartrapper der ersten Stunde, realisiert.

Misstrauisch stösst man eine der wuchtigen, schmutzigen Spitaltüren auf und erwartet fast, dass sie sich klebrig anfühlt. Im Video-Kontrollraum stellen kurze Science-Fiction-Filme Fragen nach den gesellschaftlichen, existenziellen, philosophischen, religiösen und sozialen Konsequenzen eines unendlich weiterlaufenden Lebens. Eindeutige Antworten gibt es nicht. Nicht von der 14-jährigen Japanerin, die behauptet, in Wirklichkeit 100 Jahre alt zu sein. Nicht von dem Mann, der von seinem zukünftigen Ich aufgefordert wird, gesünder zu leben. Und auch nicht von der Mutter, deren Tochter nie hätte geboren werden dürfen, weil in einer Welt, in der niemand stirbt, auch niemand mehr geboren werden darf.

«Das Leben ist arm, seit wir vom Altern geheilt wurden», sagt eine Videoprotagonistin, die im nächsten Raum auf einem Operationstisch liegt. Sie hat gerade versucht, sich das Leben zu nehmen, ihr Geist schwebt irgendwo zwischen hier und dort. Das Leben sei arm ohne Angst vor der Zukunft. Denn ohne Angst gibt es keine Hoffnung, so die Stimme.

 

Michael Schindhelm, Sie fragen «Wollen wir das wirklich?». Können Sie sich vorstellen, ewig zu leben?

«Ich glaube, das geht gar nicht. Das Wort «ewig» ist für mich ohnehin eher eine abstrakte und theoretische Kategorie als eine praktikable. Nichts ist ewig. Nicht einmal das Universum. Alles, was wir uns vorstellen können und existiert, hat eine Zeitlichkeit und eine Vergänglichkeit. Insofern ist Ewigkeit ein Traum, eine Fiktion, auch in unseren Mythologien und Religionen. Das ewige Leben, das wir gemäss der christlichen Religion einst haben werden, ist letztlich eine Projektion, abgeleitet aus dem Gegenteil dessen, was wir hier auf Erden erleben.

In unseren Märchen, Mythologien und Religionen wünschen wir uns das Gegenteil von dem, was wir im Leben erleben, dazu gehört die Unvergänglichkeit als Gegensatz zum Tod. Die Antwort ist also klar: Nein, ich kann mir nicht vorstellen, ewig zu leben. Was ich mir wünsche, ist, dass man stattdessen so lange wie möglich gesund bleibt. Ich hoffe, dass die Menschen in Zukunft Zugang zu Therapien und Medikamenten haben, die ihnen ein langes und gesundes Leben ermöglichen.»

 

Foto: Nicole Noelle

Foto: Nicole Noelle

 

Nur noch eine Türe bleibt übrig. Ein Talisman darauf soll die bösen Geister dieser Endzeitvorstellung davon abhalten, in den nächsten Raum zu gelangen, der nicht zufällig der Aufwachraum ist. Realitätscheck.

Bequeme Krankenhausbetten laden zum Hinlegen ein. In einem Video erzählen Basler Forschende und internationale Wissenschaftler, was heute in der Altersforschung passiert und was uns in den nächsten Jahren erwartet. Einem Schweizer Labor ist es kürzlich gelungen, Mäuse zu verjüngen, erzählt Michael Schindhelm.

Trotzdem, so der Ausstellungsmacher, erklärten die Biomediziner und Molekularbiologen, mit denen er gesprochen habe, dass die Medizin uns bis auf weiteres nicht helfen kann, das Altern aufzuhalten. Nach wie vor gebe es keine verlässlichen Daten, dass eine der Therapien oder die Pseudomedikamente, die auf den Markt kommen, tatsächlich etwas bewirken.

Wir könnten jedoch selbst viel tun, um lange gesund zu bleiben, so Schindhelm weiter. Weniger und vor allem gesund essen, gut schlafen, in Bewegung bleiben und ein gesundes soziales Umfeld seien vier zentrale Punkte, die uns helfen, gesund zu bleiben.

«Wenn Sie diese vier Dinge beachten und gleichzeitig nicht rauchen und nicht zu viel Alkohol trinken, dann werden Sie heute mindestens 80 Jahre alt. Mit den richtigen Gene werden sie vielleicht sogar 100 Jahre alt», sagt einer der Experten im Video.

 

Michael Schindhelm, Sie wissen was es braucht, um lange gesund zu bleiben. Trägt auch die Spiritualität zu einem langen und gesunden Leben bei?

«Eine dieser vier Kategorien ist ein gesundes soziales Leben. Und da gehört Spiritualität genauso dazu wie Kultur. Eine Epidemiologin aus London erzählt zum Beispiel in der Ausstellung, dass sie Daten von Milliarden von Menschen gesammelt und ausgewertet hat unter dem Gesichtspunkt, welchen Einfluss die Beschäftigung mit Kunst und Kultur auf den Alterungsprozess und auf die Lebensqualität von Menschen im Alter hat. Das gilt auch für die Spiritualität. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass Menschen, die eine gefestigte und auch durchaus aktive Spiritualität pflegen, auch besser mit dem Alter umgehen können. Letztendlich geht es um die Frage: «Wie bist du in die Gesellschaft integriert?» Da sind sowohl religiöse als auch kulturelle Komponenten sehr hilfreich».

 

Der Kopf schwirrt, als wäre man erst im Krankenhausbett aufgewacht. Sind unser soziales Netz, unsere Spiritualität und unsere Kultur am Ende vielleicht doch das «Tüpfelchen auf dem i», das uns möglichst lange gesund bleiben lässt? «Menschen, die sich mit Kunst und Kultur beschäftigen, haben ein höheres Wohlbefinden, leiden seltener unter Depressionen. Sie sind im Alter weniger einsam und erkranken weniger an Demenz», sagt die Epidemiologin im Video im Aufwachraum.

«Einige Experten sind der Meinung, dass wir nicht viel älter werden, als heute schon, egal wie erfolgreich sich die Biomedizin entwickelt und wie gesund wir leben», sagt Michael Schindhelm. «Wir sind so codiert, dass wir uns spätestens mit 120 Jahren auflösen. So wie der Mensch nicht unendlich gross werden kann, wird er auch nicht unendlich alt.

 

Foto: Nicole Noelle

 

Michael Schindhelm, gibt es für Sie ein Leben nach dem Tod?

«Sicherlich gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, was unser Dasein eigentlich ist. Aber ich glaube, dass viele Religionen eines gemeinsam haben, nämlich dass sie in unserer Existenz einen ideellen und einen materiellen Aspekt sehen. Wir sind Körper, die vergänglich sind und vergehen werden.

Aber es gibt auch etwas, das vielleicht nicht verschwindet, das würde ich zunächst auch so sehen. Gerade als Künstler fragt man sich immer, was ist eigentlich jenseits der Physik. Was sind die metaphysischen Beweggründe, bestimmte Dinge wie Kunst überhaupt zu machen? Kunst ist ja auch ein Überlebensversuch, wenn man so will. Gerade wenn man sieht, wie oft Menschen porträtiert wurden, weil sie damit ihre eigene Zeit überleben konnten. Ein Bild von ihnen ist geblieben, dank der Kunst.

Und so wissen wir, eben auch dank der Kunst, oft über Jahrtausende hinweg, was in der Vergangenheit, im alten Ägypten oder im alten Rom oder in China vor Tausenden von Jahren schon passiert ist. Weil es eben Kunstgegenstände gibt, die das in irgendeiner Weise dokumentiert haben und so kann der Mensch eigentlich auch der Zeit entfliehen. Kunst und auch Spiritualität sind sicherlich Medien oder Möglichkeiten, der zeitlichen Vergänglichkeit zu entrinnen.»

 

«Welcome back» steht über einem langen weissen Gang am Ausgang. Eine Ausstellung wie eine Nahtoderfahrung? Die Welt ist noch dieselbe, wenn man wieder ins Freie tritt, aber die Liste der guten Vorsätze ist um einige Punkte reicher.

 

 

Bids for Survival: The End of Aging

Bids for Survival ist ein zweigeteiltes Projekt des Autors, Filmemachers und Kurators Michael Schindhelm in der Kulturstiftung Basel H. Geiger I KBH.G.

Die Eröffnungsausstellung mit dem Titel «The End of Aging» geht künstlerischen und wissenschaftlichen Fragen zur Langlebigkeit nach. Die zweite Ausstellung «Roots» (Wurzeln) startet am 30. August 2024 und geht der postkolonialen Geschichte Balis auf den Grund. Dabei geht es um das Leben und den Einfluss des deutschen Künstlers Walter Spies.

«The End of Aging»: 3. Mai bis 21. Juli 2024, ab 21. Juli auf der digitalen Plattform www.bidsforsurvival.com

«Roots»: 30. August bis 17. November 2024

Täglich (ausser Dienstag), 11–18 Uhr, Katalog sowie Eintritt sind kostenlos

Kulturstiftung Basel H Geiger | KBH.G, Spitalstrasse 18, 4046 Basel. www.kbhg.ch

Unsere Empfehlungen

«Auch kirchenferne Menschen bleiben Christen»

«Auch kirchenferne Menschen bleiben Christen»

Vor einem Jahr erschien das Neue Testament erstmals in Basler Mundart und wurde sofort ein Hit. Nun sind auch die 150 Psalmen auf Bebbi-Deutsch als Buch erhältlich. Jürg Meier und Beat Weber übersetzten die Psalmen.
«Basilea Reformata»: Ein Buch über uns Menschen

«Basilea Reformata»: Ein Buch über uns Menschen

Am 1. Advent erscheint die neue Ausgabe der «Basilea Reformata». Auf 400 Seiten verzeichnet das Buch sämtliche Pfarrer und Pfarrerinnen, die seit der Reformation in Baselland und Basel-Stadt tätig waren. Es dokumentiert damit auch den Wandel des Pfarrberufs und seine Bedeutung im Laufe der Zeit.
1687: 9000 Flüchtlinge, 5000 Einwohner in Schaffhausen

1687: 9000 Flüchtlinge, 5000 Einwohner in Schaffhausen

Im 17. Jahrhundert nahm Schaffhausen Tausende von Hugenotten auf und stand vor zahlreichen Herausforderungen. Einmal im Jahr führt der Archäologe und Historiker Laurent Auberson durch die Stadt und zeigt Orte, die an die Schicksale der Hugenotten und Waldenser erinnern.
«Ich sammle Leben, nicht Tage»

«Ich sammle Leben, nicht Tage»

Michèle Bowley hat Krebs. Obwohl sie weiss, dass sie verlieren wird, gibt sie die Freude am Leben nicht auf. Der Dokumentarfilm «Die Tabubrecherin» zeigt ihre letzte Lebensphase.