Wie weiter mit der Wohnsitzpflicht?
Mit ihrem Antrag, die Kirchenverfassung dahingehend zu ändern, dass die Wohnsitzpflicht für Pfarrerinnen und Pfarrer in den Kirchgemeinden aufgehoben wird, erreichte die Kirchgemeinde Matzingen in der Diskussion an der Sommer-Synode (Bericht Seite 10) einen Achtungserfolg. Der Antrag wurde zwar mit 30 zu 66 Stimmen abgelehnt, aber in der Diskussion wurde anerkannt, dass wohl über neue Modelle in der Ausgestaltung des Pfarramts nachgedacht werden muss.
In der Diskussion in der Synode wurde von den Unterstützerinnen und Unterstützern der Aufhebung der Wohnsitzpflicht ins Feld geführt, dass die Nähe zu den Menschen in den Kirchgemeinden nicht allein mit dem Wohnsitz in der Kirchgemeinde gewährleistet sei. Als glühender Verfechter der Beibehaltung der Wohnsitzpflicht für die Pfarrpersonen entpuppte sich der Wigoltinger Pfarrer Ulrich Henschel. Er machte an seinem eigenen Beispiel anschaulich, was es ausmacht, wenn ein Pfarrer in seiner Gemeinde und in der Amtswohnung im Pfarrhaus wohnt und mit den Menschen das tägliche Leben teilt.
Der Wert der Wohnsitzpflicht und der Amtswohnungen wurde durchaus anerkannt, aber es wurden auch mahnende Stimmen laut, dass das klassische Berufsbild im Pfarramt mit Wohnsitzpflicht und Amtswohnung im Pfarrhaus vom Berufsnachwuchs nicht mehr unbedingt angestrebt werde. Die Vorstellungen, wie das Pfarramt wahrgenommen und gelebt werden solle, gingen beim Pfarrnachwuchs weit auseinander. Der Sitterdorfer Pfarrer Johannes Hug veranschaulichte, dass er und seine Ehefrau die klassische Rolle im Pfarramt noch leben würden. Er müsse aber feststellen, dass dies von der nachkommenden Pfarrgeneration nicht mehr so geteilt werde.
Die Redaktion lässt zwei Pfarrer zu Wort kommen, die sich an der Synode zur Abschaffung der Wohnsitzpflicht für Pfarrpersonen geäussert haben.
Das meinen Lukas Butscher und Gerrit Saamer:
Zwei Profile für das Pfarramt schaffen
Der Vorschlag der Kirchgemeinde Matzingen ist eine «Warnwolke». Der Sturm braut sich erst zusammen. In zehn Jahren werden 60 Prozent der Pfarrpersonen, die in unseren Thurgauer Kirchgemeinden arbeiten, pensioniert sein. Nur 17 Prozent der Pfarrerinnen und Pfarrer haben Jahrgang 1980 und jünger. Wir brauchen Lösungsansätze nicht nur für Matzingen, sondern für den ganzen Kanton.
Matzingen schlägt vor, dass gewählte Pfarrpersonen mit einem Pensum von über 60 Prozent auswärts wohnen können. Ich denke, dass es einen geschickteren Weg gibt: Warum nicht zwei klar abgegrenzte, in sich ausgewogene Profile schaffen, um das Pfarramt zu gestalten? Auf der einen Seite haben wir das Modell «Amt», wie wir es heute kennen. Dieses «Amt» ist für viele Pfarrkolleginnen und -kollegen und für viele Kirchgemeinden jetzt und auch in Zukunft das richtige. Aber eben nicht für alle. Für eine zunehmende Zahl von Bewerbenden passt das klassische Pfarramt nicht mehr, und viele Kirchgemeinden gehen damit bei der Besetzung ihrer freien Pfarrstellen leer aus.
Deshalb kann ich mir ein zweites Pfarramts-Modell vorstellen: Wir könnten das bestehende Profil «Anstellung» bis zu einem Stellenumfang von 100 Stellenprozent ermöglichen. Für Angestellte gibt es keine Wohnsitzpflicht, auch nicht für eine Vollzeitstelle. Wie in anderen Kantonalkirchen könnte man von der üblichen 42-Stunden- Woche ausgehen. Auf der Gegenseite wäre es wohl angebracht, wenn sich der unterschiedliche Grad an Verbindlichkeit in der Lohnstufe widerspiegelt.
Paket, das beides möglich macht
Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust... Ganz viele hier im Saal möchten einen Pfarrer in ihrer Kirchgemeinde haben wie Ulrich Henschel. Ich selber bin überzeugt und lebe das ja auch, dass man in einer Kirchgemeinde wohnen muss, um nahe bei der Gemeinde zu sein. Ich bin Teil des Dorfes und arbeite als Pfarrer in den Institutionen der Gemeinde mit. Dadurch kenne ich auch die Gemeinderatsmitglieder der Parteien. Ich halte solche Beziehungen im Dorf für wichtig für eine Kirchgemeinde. Das ist die eine Seele.
Die andere Seele ist die: Wir haben gehört, dass die jungen Pfarrerinnen und Pfarrer andere Lebensmodelle haben. Wir treten in Konkurrenz mit anderen Kantonen und wir sehen die Not von kleinen Kirchgemeinden, die keine Pfarrpersonen mehr finden. Dieser Realität müssen wir uns stellen. Ich glaube nicht, dass es mit einer einfachen Verfassungsänderung getan ist. Das wäre eine Gelegenheit, sich zu überlegen, welchen Pfarrer und welche Pfarrerin wir haben wollen, und vor allem, was wir machen können, dass uns so ein Pfarrer oder so eine Pfarrerin, wie Ulrich Henschel das geschildert hat, möglicherweise erhalten bleibt.
Deshalb möchte ich beliebt machen, dem Vorschlag der Kirchgemeinde Matzingen vorerst nicht Folge zu leisten, aber im Nachgang das Pfarrbild nochmals anzuschauen und dann ein Gesamtpaket zu erstellen, das beides möglich macht: Dass man nicht Tor und Tür öffnet für die Erosion des klassischen Pfarrbildes, aber die Möglichkeit schafft, dass ein Pfarramt ohne Wohnsitz in der Kirchgemeinde von aussen betreut werden kann.
Wie weiter mit der Wohnsitzpflicht?