Wenn Projekte zu Geschwistern werden
Statt Strassenlärm, Automotoren und anderen Zivilisationsgeräuschen tönen zwischen dem hundertfachen Zirpen von Grillen und Zikaden fremdartige Rufe von Brüllaffen aus dem Regenwald. Wir sind in Tangkarasan, einem Ort, genauso abgelegen, wie er sich anhört. Nur über den Flussweg oder durch endlose Plantagenwege erreichbar, die sich in der Monsunzeit in schlammig-löchrige Pisten verwandeln, dürfen wir hier zu Gast sein bei Christen, die so völlig anders leben und denken als wir. Und doch verbindet uns ein Geheimnis: „Dalam Christus, kita bersaudara!“ - So singen wir gemeinsam im Gottesdienst. „In Christus werden wir zu Geschwistern!“ Da begegnen wir Menschen, die in Häusern auf Pfählen leben, sich an eigenartigen Stammestänzen erfreuen und gerne Trockenfisch essen. Und es verbindet uns das Staunen darüber, dass wir durch Jesus Christus zu Geschwistern werden.
Wir feiern Gottesdienst und anschliessend Teilete - für Menschen, die nicht immer wissen, was sie am nächsten Tag zu Essen haben ein ganz besonderes Zeichen von Gemeinschaft.
Doch hält dieser Gottesdienst manche Überraschung für uns bereit: Zum Beispiel staunen wir nicht schlecht, als Lieder angekündigt werden: Auf einmal greifen die versammelten Runggus-Christen zu ihren Handys, um die Gesangbuch-App zu aktivieren. Noch mehr überrascht uns ein poppiger Sound zu alten Melodien. Gemeindepfarrer Sopirig erklärt: „Um unsere jungen Leute nicht mit den alten Gesangbuch-Melodien zu verschrecken, haben wir als Vorsteherschaft beschlossen, diese Lieder ganz bewusst jeden Sonntag weiter zu singen!“ Und dann schmunzelt er: „Aber dafür immer nur mit poppiger E-Gittarre, Schlagzeug und Sound-Board!“ Wir sind überrascht über so viel Kreativität hier am Rande der Zivilisation.
Noch ganz angerührt von der Herzlichkeit und Gastfreundschaft machen wir uns auf den Weg nach Sandakan, dem Wirschaftszentrum Ost-Borneos. Als wir hier ankommen, werden wir von chinesisch-stämmigen Christen empfangen - Geschäftsleute unterschiedlichster Art, die sich als Christen sehr innovativ in ihren Gemeinden engagieren. Was für ein Kontrastprogramm.
Zwischen Tangkarasan und Sandaku: Was Christen an beiden Orten verbindet, ist ihre Situation als Minderheit in einem nichtchristlichen Umfeld.
Auf einmal kommen uns wieder Bilder in den Sinn, die Jesus gebraucht. Bilder wie das vom Salz in der Suppe, vom Sauerteig im Teigbrei oder das Bild vom Licht in der Dunkelheit. Da geht es nie um die Menge, sondern um die Würzkraft.
„Jetzt helfe euer Überfluss ihrem Mangel ab, damit hernach auch ihr Überfluss eurem Mangel abhelfe und so ein Ausgleich geschehe.“ So schreibt der Apostel Paulus in 2.Kor. 8,14. - Vielleicht können wir genau das für uns selbst als Reichtum und Überfluss von hier mitnehmen: Als Christen, die im Alltag bewusst mit Christus unterwegs sind, bleiben wir eine kleine Minderheit. Aber ausgerechnet darin liegt unsere Würz -und Salzkraft. Was wir hier lernen: Offensichtlich entfalten gerade Christen in der Minderheit einen ganz besonderen ‚Produktstolz‘.
(12. November 2018, Pfarrer Timo Garthe, Kirchgemeinde Lengwil)
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