News aus dem Thurgau
Landeskirche greift zu aussergewöhnlicher Massnahme

Wenn die Behörde fehlt

von Ernst Ritzi
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27.07.2024
Pfarrer und Organisationsberater Stefan Wohnlich hat vom Kirchenrat am 1. Juni 2024 eine ungewohnte Aufgabe erhalten: Als Administrator leitet er die beiden Kirchgemeinden Sirnach und Warth-Weiningen, weil dort seit dem Beginn der neuen Amtsdauer eine handlungsfähige Behörde fehlt.

Die beiden Kirchgemeinden Sirnach und Warth-Weiningen stehen seit dem 1. Juni 2024 unter Direktverwaltung der Landeskirche. Der Kirchenrat sah sich zu dieser ungewöhnlichen Massnahme veranlasst, nachdem bei den Erneuerungswahlen für die Kirchenvorsteherschaft für die Amtsdauer 2024 bis 2028 in beiden Kirchgemeinden keine beschlussfähige Behörde zustande kam.

Mit drei Behördenmitgliedern noch beschlussfähig
Der Massstab für die Beschlussfähigkeit der Behörde ergibt sich durch die kantonale Gesetzgebung. Im Gemeindegesetz des Kantons wird die Mindestgrösse einer Exekutivbehörde mit fünf Mitgliedern definiert. Sind an einer Sitzung nicht mindestens drei Behördenmitglieder anwesend, können keine rechtsgültigen Beschlüsse mehr gefasst werden.

Durch Umkehrschluss lässt sich ableiten, dass mindestens drei Behördensitze besetzt sein müssen, damit bei Anwesenheit aller Mitglieder die Behörde überhaupt beschlussfähig sein kann. Das war in den beiden Kirchgemeinden Sirnach und Warth-Weiningen nicht der Fall: In Sirnach wurden zwei Behördenmitglieder gewählt und in Warth-Weiningen eines.

Zusätzliche Behördenmitglieder gesucht
Ohne beschlussfähige Behörde ist eine Kirchgemeinde nicht mehr funktionstüchtig. Es fehlt ihr ein beschluss- und handlungsfähiges leitendes Gremium, das den Betrieb gewährleistet und die Beschlüsse der Kirchgemeindeversammlung ausführt. In beiden Kirchgemeinden hat der Kirchenrat einen Administrator eingesetzt, der in seinem Auftrag zusammen mit den gewählten Mitgliedern der Kirchenvorsteherschaft, dem Pfarramt, den weiteren kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Kirchenpflege oder der beauftragten Rechnungsführung und dem Sekretariat das kirchliche Leben weiterführt und nach Möglichkeiten sucht, dass sich möglichst bald Kirchbürgerinnen und Kirchbürger finden, die sich in die Behörde wählen lassen.

Sowohl in Sirnach als auch in Warth-Weiningen ist das Pfarramt durch bewährte Pfarrpersonen und Stellvertreter besetzt und auch die Rechnungsführung und das Sekretariat der Kirchgemeinde sind in guten Händen.

Ball liegt bei den Kirchbürgern
Der vom Kirchenrat in den beiden verwaisten Kirchgemeinden eingesetzte Administrator Stefan Wohnlich, Eschlikon, bietet dank seiner breiten Qualifikation in der Beratung und Entwicklung von Organisationen Gewähr dafür, dass in den Kirchgemeinden in geeigneter Form nach Ansätzen gesucht wird, die Behörden mit frischem Leben zu füllen.

Der Ball liegt in beiden Kirchgemeinden bei den Menschen vor Ort. Sie können die Kirchenvorsteherschaften wieder beschluss- und handlungsfähig machen, indem sie sich für eine Mitarbeit in der Behörde zur Verfügung stellen oder andere dazu ermutigen.

Erste Direktverwaltung bereits im Jahr 2005
Ein Novum ist die Direktverwaltung von Kirchgemeinden nicht. Im Jahr 2005 musste die Kirchgemeinde Bürglen durch die Landeskirche verwaltet werden. Während neun Monaten wirkte dort der frühere Kirchenratspräsident Walter Vogel als vom Kirchenrat eingesetzter Administrator. Er wurde durch eine neue, beschlussfähige Behörde abgelöst.

Trotz «dünner Rechtsgrundlage» keine Alternative
Zur rechtlichen Grundlage hat der damalige und (derzeitige) Kirchenratsaktuar Ernst Ritzi der Thurgauer Zeitung gegenüber folgendes erklärt: «Der Kirchenrat hat aufgrund der Verfassung die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Kirchgemeinden durch eine ordentlich gewählte Behörde geführt werden. Für den vorliegenden Fall sind auch die Rechtsgrundlagen, die man aus dem staatlichen Recht heranziehen könnte, sehr dünn. Die Gemeindeautonomie ist ein hohes Rechtsgut. Wir tun uns mit dem Schritt einer Ersatzverwaltung durch die Landeskirche schwer, aber wir sehen trotz dünner Rechtsgrundlage keine Alternative.» Das hat auch 20 Jahre später immer noch seine Richtigkeit.

 

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