Welche Sprache spricht die Liebe?
Seit 20 Jahren war sie dement, seit 15 Jahren schwer. Bis zuletzt habe er ihr liebevoll die Fingernägel lackiert und sich dagegen gewehrt, sie in ein Heim zu geben, erzählt die Enkelin. Auch als die Grossmutter ihren Mann längst nicht mehr erkannte.
Es war eine Bilderbuchbeziehung, voller Liebe und Zärtlichkeit. Kennengelernt hatten sie sich in Süddeutschland, während der kargen Nachkriegszeit. Sie wäre gerne viel gereist, er fand es zu Hause am schönsten. Sechzig Jahre lang waren sie verheiratet.
Viele Paare in der Schweiz schaffen es nicht, gemeinsam alt zu werden. Die Scheidungsrate ist hoch. Gemäss Bundesamt für Statistik lassen sich zwei von fünf Paaren scheiden. Aber warum eigentlich? Gibt es ein Rezept für eine lange und glückliche Partnerschaft?
Aufmerksamkeit als Liebessprache
In den Buchhandlungen und im Internet gibt es dazu unzählige Ratgeberbücher. Eines der meistgelesenen stammt vom amerikanischen Pastor und Paartherapeuten Gary Chapman. Der Klassiker mit dem Titel «Die fünf Sprachen der Liebe» erschien erstmals 1992. Mehr als 34 Millionen Menschen haben ihn gelesen und sich gefragt, ob sie lieber zärtlich sind, Geschenke machen oder ihre Partnerin unterstützen.
Chapman geht davon aus, dass Liebe für jeden Menschen einzigartig ist und jeder sie unterschiedlich ausdrückt: entweder durch Zärtlichkeit, Lob oder Anerkennung, Hilfsbereitschaft, Zweisamkeit und gemeinsame Zeit oder durch Aufmerksamkeit und Geschenke.
1992 veröffentliche Gary Chapman «Die fünf Sprachen der Liebe». Sein Ansatz: Menschen zeigen auf verschiedene Arten ihre Liebe. | Foto: Wikimedia, MoodyPublishers
Missverständnisse in der Partnerschaft
Das Problem sei, so Chapman, dass wir oft nicht erkennen würden, dass es sich um Zeichen der Liebe handle. Zum Beispiel, wenn der Ehemann den Müll rausbringt oder die Lampe an der Decke anbringt. Oder wenn sie ihn zärtlich auf den Hals küsst oder er sie mit einem Blumenstrauss überrascht. Gibt es keine Reaktion, fühlt sich der Partner nicht wertgeschätzt und geliebt. Mit der Zeit zweifelt er, wenn sie ihm etwa nie sagt: «Ich liebe dich.» Dass sie ihm regelmässig sein Lieblingsessen serviert, erscheint ihm selbstverständlich.
Gary Chapman ist überzeugt, dass die Kommunikation in der Partnerschaft auf Missverständnissen beruht, weil Liebesbezeugungen nicht als solche erkannt werden. Chapmans Rat: Paare sollten sich bewusst machen, dass es nicht nur eine Art gibt, seine Zuneigung auszudrücken. Mit den fünf Sprachen der Liebe findet man einen Ansatz, den anderen besser zu verstehen.
Nur eine von vielen Möglichkeiten, Gefühle auszudrücken
Die Reaktionen auf Gary Chapmans Thesen sind unterschiedlich, wie eine Umfrage bei kirchlichen Ehe- und Partnerschaftsberatungsstellen zeigt. Die fünf Sprachen seien eine von mehreren Möglichkeiten, seine Gefühle auszudrücken, sagt Anita Schälin von der Paarberatung Elbe in Luzern. Für Schälin beginnt die Sprache der Liebe mit Respekt, Wertschätzung und Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber.
Die Metapher der Fremdsprache, die Chapman verwende, sei verständlich und könne zu Aha-Erlebnissen und zu einem Veränderungsprozess führen, erklärt Nadia Wiedmer von der Fachstelle Beziehungsfragen Solothurn. «Aber das Paar muss bereit sein, etwas zu verändern, und den anderen verstehen wollen.»
Ähnlich klingt es aus Schaffhausen: Die Methode helfe nicht nur beim Verstehen, sondern auch bei der Dankbarkeit. «Dankbarkeit, dass Zeichen der Liebe gesendet werden, die bisher nicht als solche erkannt wurden», sagt Cornelia Egli-Angele von der Beratungsstelle Schwangerschaft und Partnerschaft.
Gute Kommunikation ist Beziehungskompetenz
In Zug sieht man in Chapmans Methode einen Ansatz, mit dem Paare die Kompetenzen erwerben können, die es für eine langfristige Beziehung brauche. Eine gute Beziehung basiere auf Vertrauen, einem Wir-Gefühl und einer guten Kommunikation, «in der wir die Aussagen des anderen unvoreingenommen verstehen können». Die fünf Sprachen könnten helfen, diese Grundwerte zu erreichen, sagt Stellenleiter André Widmer.
Ähnlich argumentieren Solange Zmilacher und Tobias Steiger von der Paarberatung der Kirche Baselland in Muttenz. Chapmans Sprache der Liebe könne helfen, sich zu verständigen. Die Ausdrucksformen der Liebe seien aber vielfältiger und bei jedem Paar einzigartig. «Natürlich ist Anerkennung grundlegend. Das brauchen alle Partner. Genauso wie Nähe, Zärtlichkeit und Sex Grundbedürfnisse in der Paarbeziehung sind.» Es gebe aber auch Beziehungen, die durch emotionalen und intellektuellen Austausch ohne Sexualität erfüllend seien, räumen die beiden ein.
Lob und Geschenke sind nicht immer Liebe
Für Steiger und Zmilacher ist klar, dass die Sprache der Liebe nur dann als Liebe erlebt werden kann, wenn dahinter nicht versteckte eigene Bedürfnisse stehen, sondern echte Wertschätzung und Zuneigung. «Lob wird oft benutzt, um den anderen zu bewerten und zu beeinflussen.» Auch Geschenke werden manchmal nur gemacht, um andere für die eigenen Zwecke einzuspannen.»
Als der Grossvater einen Schlaganfall erlitt und ins Spital eingeliefert wurde, kam die Grossmutter ins Pflegeheim. Bald darauf starb sie. «Als mein Grossvater vor der Beerdigung seine aufgebahrte Frau sah, murmelte er immer wieder: ‹Mein Schätzele, mein Schätzele›», erzählt die Enkelin. Letztlich sei die Liebe für beide ein grosses Geschenk gewesen. Warum die Liebe so lange gehalten habe, bleibe ein Geheimnis, meint die Enkelin. Sie haben wohl ihre eigene Sprache der Liebe gefunden.
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