«Meine Jugendzeit in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts auf einem damals nur wenig mechanisierten Bauernhof war geprägt durch lange und strenge Arbeitstage. An den täglichen vier Mahlzeiten stellte die Mutter mindestens zweimal Fleisch auf den Tisch. Als Selbstversorger mit eigenem Gemüse aus zwei Gärten und ein bis zwei Hausschlachtungen pro Jahr war für eine gesunde und kräftige Ernährung für uns «Schwerarbeiter» bestens gesorgt. Die Vieh-Assekuranzversicherung diente dazu, dass Notschlachtungen in den Viehställen der örtlichen Bauern nicht zu finanziellen Desastern führten. Entsprechend ergänzte das jeweils pro Hof obligatorisch bezogene Rindfleisch zusätzlich den Speisezettel. Meine Eltern erlebten die Rationierung während des Zweiten Weltkriegs. Ab 1941 waren gar zwei fleischlose Tage pro Woche gesetzlich vorgeschrieben. Fleisch war rar und darum sehr begehrt, Rationierungsmarken für Zucker oder Schokolade wurden oft unter der Hand gegen diejenigen von Fleisch eingetauscht. Ein Teil unserer Dienstleistungsgesellschaft mit einem grossen Anteil an körperlich leichter Büroarbeit verzichtet nun auf Fleisch. Für mich ist dies ein Zeichen der Übersättigung, des Überflusses und Wohlstands. Bereits gehört es «zum guten Ton», sich fleischlos zu ernähren. Hoffentlich erleben wir nie mehr eine Zeit der Lebensmittelrationierung. Trotzdem nimmt es mich wunder, wie hoch dann der Prozentsatz der «Fleischverzichter» noch wäre.»
Verzicht ist Zeichen der Zeit