«Verantwortung war nie eine Belastung»
Von Brunhilde Bergmann
Ernst Ritzi ist aufgewachsen in Neukirch an der Thur, hat von klein auf die Tageszeitung gelesen und ging gern zur Schule. Weil sein Vater erst mit 50 eine Familie gründete, hat Ritzi als Ältester von vier Kindern schon sehr früh auf dem elterlichen Bauernhof mitgearbeitet. «Ich musste und durfte früh Verantwortung übernehmen, der liebe Gott hat mir die Fähigkeit dazu gegeben. Verantwortung habe ich nie als Belastung empfunden», blickt er zurück. Sein Nachbar, Verwalter der landwirtschaftlichen Genossenschaft, war ihm Vorbild, ebenso sein Dorfschullehrer, der die 53-köpfige Klasse allein unterrichtete. Und später war es der Geschichtslehrer an der Kantonsschule.
«Ich bin kein Kontrollfreak»
Seine Vorbilder hätten ihn gefördert und gefordert, ihm aber auch Leistung zugetraut und so geprägt: «Auch ich traue den Menschen in meinem Umfeld zu, dass sie ihre Aufgaben gewissenhaft und verantwortungsvoll erledigen. Ich bin kein Kontrollfreak.» Fast immer hat Ritzi gute Erfahrungen damit gemacht. Das gilt für seine Familie wie für die Politik, die Mitarbeiterführung und die Behördenarbeit; alles
Aufgabenbereiche, in die er nach und nach hineinrutschte. Sein politisches Interesse lebte Ritzi als Parteipräsident bei den Jungliberalen, später als Mitgestalter der Grünen Partei Thurgau aus, für die er 18 Jahre lang im Grossen Rat politisierte. Das ökologische Anliegen bestimmt auch Ritzis Alltag: Die Familie besitzt kein Auto. Nach dem Rücktritt aus dem Parlament wechselte er zur Behördenarbeit, Ritzi ist Primarschulpräsident von Sulgen.
An einer Modeschau verliebt
Um sich sein Geschichtsstudium finanzieren zu können, unterrichtete der Student als Aushilfslehrer an der Sekundarschule Wigoltingen. Später zog es ihn zum Journalismus. Als Lokalredaktor hatte er über eine Modeschau zu berichten, Ritzi durchlitt den Anlass an der Seite der Journalistin vom Konkurrenzblatt. Sie ist heute seine Ehefrau und Mutter der drei Söhne zwischen 17 und 21 Jahren.
Hält den «Karren am Laufen»
Vor 22 Jahren trat der werdende Familienvater Ernst Ritzi die Nachfolge von Kirchenratsaktuar Dekan Hans Gossweiler in Frauenfeld an. «Kirche als Institution und die Werte, für die sie einsteht, waren mir neben dem Schreiben schon immer wichtig.» Der Kirchenratsaktuar ist «Mädchen für alles» und hält den «Karren am Laufen», indem er den Kirchenrat unterstützt: gedanklich, Korrespondenz und Protokoll führt, Auskunft gibt und den Präsidenten nach aussen als Mediensprecher vertritt. Er berät Kirchgemeinden, Pfarrpersonen, Mitarbeitende. Ritzi resümiert: «In meinen politischen Ämtern und als Lehrer, Journalist und jetzt beim Kirchenrat ging es immer um Kommunikation. Die Aufgaben haben sich immer gut ergänzt. » Trotzdem: Ritzis Vielfältigkeit und seine Begeisterungsfähigkeit für das Gemeinwohl kollidierten mit der geplanten Karriere als Historiker: Das Geschichtsstudium hat er bis jetzt nicht abgeschlossen. Was macht das schon? Ernst Ritzi lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen und hört geduldig zu. Wer bei Ernst Ritzi Rat sucht, weiss: Es wird geholfen.
«Verantwortung war nie eine Belastung»