News aus dem Thurgau

Umweltverantwortung: Ja – aber wie?

von Ernst Ritzi
min
10.01.2025
Niemand bestreitet das Grundprinzip der «planetaren Grenzen» für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Trotzdem prallen bei der Volksabstimmung vom 9. Februar zur Umweltverantwortungsinitiative Welten aufeinander.

Die von den Jungen Grünen lancierte Initiative sagt mit ihrem vollen Titel «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen», was sie als Grundprinzip in die Bundesverfassung schreiben will. Dass «die Natur und ihre Erneuerungsfähigkeit den Rahmen für die schweizerische Gesamtwirtschaft bilden» und «wirtschaftliche Tätigkeiten nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen dürfen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben», wird selbst von Gegnerinnen und Gegnern der Initiative nicht bestritten.

«Einschneidende Eingriffe in den Lebensstil»
Im Abstimmungsbüchlein des Bundes werden die Argumente und Befürchtungen der Gegnerinnen und Gegner mit deutlichen Worten zusammengefasst: «Die Initiative hätte einschneidende Eingriffe in den Lebensstil der Bevölkerung zur Folge. Bund und Kantone wären gefordert und müssten den Konsum rasch mit weitreichenden Vorschriften, Verboten, Anreizen und anderen Massnahmen einschränken. Die Vorschriften und Verbote würden nicht nur den Kauf neuer Geräte oder Kleider betreffen, sondern auch die Art, wie wir wohnen, essen, uns fortbewegen oder unsere Freizeit und Ferien gestalten. Es müsste auf vieles verzichtet werden, was heute zum gewohnten Lebensstandard in der Schweiz gehört.»

«Die nächsten Jahre sind entscheidend»
In der Werbung für die Initiative wird betont, dass es in Bezug auf Klimaerwärmung und Verlust der Biodiversität «fünf vor zwölf» sei und dringlicher Handlungsbedarf bestehe: «Im Moment verbraucht unsere Wirtschaft viel mehr Ressourcen, als die Natur wiederherstellen kann. Wir überschreiten die Belastbarkeitsgrenzen (planetaren Grenzen) der Erde massiv und zerstören so immer schneller unsere eigenen Lebensgrundlagen. Manche der Veränderungen in den Ökosystemen können nicht rückgängig gemacht werden. Deshalb sind die nächsten Jahre entscheidend, um die Klimakrise und das Artensterben zu bremsen.»

Die Redaktion des Kirchenboten hat zwei Vertreter von Thurgauer Jungparteien um eine Stellungnahme zur Umweltverantwortungsinitiative gebeten.

 

Das meinen Marc Rüdisüli und Nils Rüegg:

 

Brauchen umsetzbare Massnahmen


Marc Rüdisüli, Präsident Die Junge Mitte Schweiz und Kantonsrat, Sirnach

«Die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen verlangt, dass die Schweiz ihre Umweltbelastung innerhalb von zehn Jahren so weit senkt, dass die planetaren Grenzen eingehalten werden. Der Schutz unserer Umwelt und Lebensgrundlagen ist zweifellos wichtig.

Doch dazu brauchen wir keine neuen Ziele – diese sind international mit dem Pariser Klimaabkommen und national mit dem Klima- und Innovationsgesetz bereits gesetzt. Die Initiative verlangt drastische Einschnitte, die höhere Preise, Deindustrialisierung und Wohlstandsverluste zur Folge hätten. Dies gefährdet den sozialen Zusammenhalt. Ich bin überzeugt: Nachhaltiger Klimaschutz gelingt nicht mit radikalen Forderungen, sondern mit umsetzbaren Massnahmen. Statt ständig neue Ziele zu setzen, sollten wir die vorhandenen Instrumente konsequent anwenden und verbessern.

Es ist klar: Im Klima- und Umweltschutz muss noch mehr geschehen. Mit dem CO²-Gesetz, dem Stromgesetz, dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Kreislaufwirtschaft ist die Basis gelegt. Seit dem Jahr 2000 hat die Schweiz ihre Umweltbelastung trotz Bevölkerungswachstum um über ein Viertel reduziert. Diesen Weg müssen wir entschlossen weitergehen. Ambitionierte Ziele müssen gemeinsam mit der Gesellschaft und der Wirtschaft umsetzbar sein, sonst sind sie wirkungslos. Wo sinnvoll, müssen neue Leitplanken gesetzt werden – aber nicht durch diese Initiative, die keine konkreten Massnahmen enthält.»

Es ist höchste Zeit, zu handeln


Nils Rüegg, Junge Grüne Thurgau, Kreuzlingen

«Die Umweltkrise spitzt sich zu. Wir sehen uns in der Verantwortung, aktiv zu werden, um unsere Zukunft zu sichern. Deshalb haben wir die Umweltverantwortungsinitiative lanciert. Sie fordert, dass wir die planetaren Grenzen respektieren – die Natur und ihre Erneuerungsfähigkeit sollen den Rahmen für die schweizerische Wirtschaft bilden.

Unser derzeitiges Wirtschaftssystem ignoriert diese Grenzen. Die Folgen sind Klimakrise, Artensterben und ausgelaugte Böden. Umwelt- und Gesundheitskosten steigen schon heute. Ohne Veränderung könnten sie bis 2050 auf 15 bis 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts klettern.

Die Initiative setzt klare Leitplanken, ohne konkrete Massnahmen vorzugeben. Möglich wäre es, klimaschädliche Subventionen zu streichen und in die ökologische Transformation zu investieren. Nur mit echtem Umweltschutz können wir langfristig unseren Wohlstand sichern – denn eine zerstörte Umwelt bedeutet wirtschaftliche Unsicherheit. Die Schweiz, obwohl klein, hat einen der höchsten Pro-Kopf-Verbräuche weltweit. Wir müssen Verantwortung übernehmen, indem wir Vorreiter sind: mit Innovation, nachhaltiger (Finanz-) Politik und fairem Wirtschaftssystem.

Die nächsten Jahre sind entscheidend. Die Initiative schafft die Grundlage für eine zukunftsfähige Wirtschaft und sichert unsere Lebensgrundlagen. Jetzt ist der Moment, Verantwortung zu übernehmen – für die Umwelt und uns alle.»

 

 

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