Thurgau im Zeichen der Negativzinsen
Seit fünf Jahren gibt es in der Schweiz Negativzinsen. Sie wurden von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) als Notmassnahme eingeführt, um den Franken nicht zu sehr erstarken zu lassen. Es wird viel gespart, jedoch im Verhältnis dazu eher wenig investiert: Ein bedrohliches Phänomen, das der frühere amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke als «Sparschwemme» bezeichnet hatte. In diesem globalen Strudel müssen auch Verantwortliche der Thurgauer Finanz- und Immobilienbranche Wege finden, um erfolgreich am Markt zu bestehen. Werner Fleischmann, Inhaber von Fleischmann Immobilien, hat mit Dominik Holderegger diskutiert, welches die aktuellen Herausforderungen sind. Holderegger führt die grösste Thurgauer Raiffeisenbank in Tägerwilen.
Verschuldung nicht belohnen
Etliche Bankinstitute überlegen sich gemäss des Bankenbarometers des Beratungsunternehmens EY, für hohe Guthaben auf Bankkonten auch bei Privaten Negativzinsen zu erheben. Ein Szenario, das Raiffeisen möglichst vermeiden will. Gemäss verschiedenen Medienberichten begannen einzelne Banken schon 2019, dem Schuldner Geld für die Kreditaufnahme zu bezahlen. Es ist auch kein Geheimnis, dass es sogar Thurgauer Gemeinden gibt, die Geld bekommen, wenn sie einen Kredit aufnehmen. Minuszinsen für Wohneigentumsbesitzende, so Dominik Holderegger, könne er sich nicht vorstellen, genauso wenig wie Negativzinsen auf Spargeldern von Kunden: «Das ist ja, wie wenn ich zahlen müsste, damit ich am Morgen arbeiten darf.» Er ist überzeugt, «dass es nicht im Interesse der Nationalbank ist, Verschuldung zu belohnen». Werner Fleischmann prophezeit jedoch, dass der Immobilienmarkt volatiler werde: «Dann wird der Käufer für Schulden doch noch belohnt.»
Negative Folgen für Wirtschaft
Genau deshalb fordert die Schweizerische Bankiervereinigung eine öffentliche Diskussion über die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Langzeit-Negativzinsen. In einer Medienmitteilung fasst sie zusammen, dass die Negativzinsen ihren wirtschaftspolitischen Zweck nicht mehr erfüllten. Sie hätten vielmehr negative Folgen: «Sie schaffen Verschuldungsanreize und verursachen einen Anlagennotstand.» Es sei angezeigt, «den Weg für den Ausstieg aus dem Krisenmodus zu ebnen».
Es braucht weiterhin Banken
Wie aber gestalten die Thurgauer Banken den Weg in die Zukunft? Dominik Holderegger setzt auf Ertragsdiversifikation: «Damit haben wir schon vor den Negativzinsen begonnen, was sich jetzt auszahlt.» Das Anlagegeschäft und der Devisenhandel seien zu einem beachtlichen Ertragspfeiler geworden. Banken brauche es weiterhin – auch für das Kreditgeschäft, das ein wesentlicher Teil des Wirtschaftssystems sei: «Die Kunden wollen sparen, vorsorgen und anlegen.» Werner Fleischmann ist es sehr wichtig, seinen Kunden eine Bank zu empfehlen, die der Käuferschaft auch weiterhin reibungslos eine Hypothek gewährt: «Viele Kunden holen verschiedene Offerten ein, aber vielfach entpuppt sich die günstigste Variante als zu komplex und nicht machbar.»
Liquiditätsgetrieben statt spekulativ
Dominik Holderegger hat seinen Geschäftssitz in einer der besonders boomenden Thurgauer Regionen und beurteilt wie Werner Fleischmann die Entwicklung sehr dynamisch, aber nicht besorgniserregend oder überhitzt. Er geht nur von einer moderaten Zinserhöhung aus – wenn überhaupt, und: «Die Regulatorien wirken. Probleme gibt es nur in Einzelfällen.» Die Situation sei grundlegend anders als zur Zeit des Immobiliencrashs der 1990er Jahre: «Damals waren viele Investitionen rein spekulativ, heute hingegen vornehmlich liquiditätsgetrieben.»
Thurgau beliebt – noch «Luft und Platz»
Preiskorrekturen bei Immobilien sind in den kommenden Jahren gemäss Holderegger nicht auszuschliessen. Er geht jedoch mit Werner Fleischmann einig, dass die Immobilienpreise partiell weiter ansteigen werden – insbesondere in Zentren oder bevorzugten Seeregionen. An gesuchten Lagen und für gute Objekte wird laut Fleischmann der Preis häufig im Bieterverfahren ermittelt. Er erklärt sich die Preissteigerungen mit der anhaltend hohen Nachfrage nach grosszügigem Wohneigentum – unter anderem aus dem Grossraum Zürich: «Verdichtet bauen tönt zwar gut auf dem Papier, in der Praxis bevorzugt jedoch eine Familie Luft und Platz. Das können wir zum Glück noch im Thurgau bieten.»
(Roman Salzmann, Februar 2020)
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