«Tatort Bibel» – damals und heute
Janine Lanker ist Mutter und Staatsanwältin mit Leib und Seele. Die Juristin mit Wurzeln in einer Thurgauer Kirchgemeinde zieht spannende Parallelen und kann Tatorten durchaus etwas Gutes abgewinnen.
Janine Lanker, welche spontanen «Tatort-Gedanken» kommen Ihnen in den Sinn?
Tatorte gehören zu meinem beruflichen Alltag: Jede strafbare Handlung, welche ich zu untersuchen habe, wurde an einem bestimmten Ort, dem Tatort, begangen. Aber auch zu Hause treffe ich hin und wieder einen «Tatort» an, wenn mein kleiner Sohn zum Beispiel mal wieder das Badezimmer geflutet oder sonst irgendein Chaos verursacht hat.
Inwiefern spielen Tatorte in Ihrem Beruf als Staatsanwältin eine Rolle?
Insbesondere während dem Pikettdienst rücke ich an Tatorte aus, so beispielsweise bei schweren Unfällen, aussergewöhnlichen Todesfällen oder schwereren Gewaltdelikten. In diesen Fällen ist der Tatort oftmals auch ausschlaggebend für die Spurensicherung und damit ein wichtiger Teil der Beweismittelsammlung. In den meisten Fällen bestimmt der Tatort die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Am Tatort mache mir ein Bild von den Geschehnissen. Ich habe – teilweise unter Beizug von Fachpersonen wie Gutachtern oder von der Kriminalpolizei – zu ermitteln, was vorgefallen und wer dafür verantwortlich ist.
Gibt es «Tatorte» in der Bibel?
Die Bibel steckt voller Verbrechen: Geschichten von Mord und Totschlag, Betrug, Flucht, usw. Vielfach werden uns sogleich auch die Motive wie Eifersucht, Hass oder Angst geliefert. Man kann also sagen, dass die Bibel gefüllt ist mit Kriminalgeschichten.
Wie haben Sie von einem bestimmten «Tatort» in der Bibel persönlich schon Lehren ziehen können?
Die Geschichte von Jesus, der als Unschuldiger von so vielen Menschen vorverurteilt und schliesslich sogar zum Tode verurteilt wurde, zeigt, dass es wichtig ist, nicht vorschnell ein Urteil zu fällen und neutral zu ermitteln. Dies, auch wenn manchmal von aussen schon ganz viele Einflüsse kommen. Das ist auch in meinem Beruf sehr wichtig: Man muss sich immer ein Bild von den Gesamtumständen und von der beschuldigten Person selbst machen. Es ist nicht immer einfach, bei unterschiedlichen Aussagen, Darstellungen, Interpretationen, etc. herauszufinden, was sich nun wirklich zugetragen hat. Hier ist eine offene Einstellung ohne Vorurteile und eine Ermittlung in alle relevanten Richtungen wichtig. Passend hierzu ist der Vers aus Sprüche 18,17: «Wer als Erster vor Gericht aussagt, scheint recht zu haben; dann aber kommt sein Gegner und zeigt die andere Seite auf.»
Warum bleiben bei Ihnen persönlich von bestimmten «Tatorten» in der Bibel auch Fragen zurück?
Manchmal kommt die Frage auf, ob Gott in den einen Fällen zu hart geurteilt hat – so etwa in der Geschichte von Noah und der Sintflut oder von Sodom und Gomorra – und in anderen zu leicht, wie beispielsweise bei Jakob, welcher Esau mit einer List um den Segen seines Vaters betrog und danach trotzdem reich beschenkt wurde. Allerdings lehrt uns die Bibel, dass Gott gerecht und allwissend ist. Und da er eben alles weiss, dürfen wir glauben, dass er nicht falsch urteilt.
Wie ist es im Beruf: Ist am Ende immer alles klar, oder bleiben ebenfalls Fragen zurück?
Manchmal bleiben Fragen offen, so beispielsweise nach dem genauen Motiv oder wieso ein Mensch in der Lage ist, ein scheussliches Verbrechen zu begehen. Es gibt sogar Fälle, da bleibt ein Restzweifel, ob jemand die ihm vorgeworfene Tat wirklich begangen hat oder nicht. Zum Beispiel bei einem reinen Indizienprozess. Und natürlich gibt es manchmal auch Fälle, die ungeklärt bleiben und/oder in denen die beschuldigte Person nicht ermittelt werden kann.
Manchmal kommt es bei «Tatorten» zum «Happy End». Gibt es dafür Beispiele aus Ihrem Beruf und aus der Bibel, die Sie besonders berührt haben?
Beruflich erlebe ich ein Happy End, wenn für eine Tat die richtige Person verantwortlich gemacht oder wenn eine zu Unrecht beschuldigte Person eindeutig entlastet werden kann. Dann habe ich meinen Job erfüllt. Es gibt aber auch Fälle, bei welchen es einfach kein Happy End geben kann, so beispielsweise bei tödlichen oder schweren Verkehrs- und Arbeitsunfällen oder bei tragischen Unfällen generell. Selbst wenn diese Fälle restlos geklärt werden können, gibt es am Schluss fast nur «Verlierer».
In der Bibel ist der Hügel von Golgatha für mich wohl der bedeutsamste Tatort: Jesus wurde dort ans Kreuz genagelt. Wenn man bedenkt, dass er unschuldig war, ist das echt schlimm. Für uns Menschen bringt aber genau diese Tat ein Happy End mit sich: Nur so haben wir die Chance erhalten, vor Gott bestehen zu können. So auch zu lesen in 2. Korinther 5,21: «Denn Gott hat Christus, der ohne Sünde war, mit all unserer Schuld beladen und verurteilt, damit wir freigesprochen sind und vor ihm bestehen können.»
«Tatort Bibel» – damals und heute