Täglich herausgefordert
90 Menschen auf der Flucht finden Aufnahme in einer Schule, deren Träger die Ungarisch- Reformierte Kirche in Transkarpatien in der Westukraine ist. «Selbstverständlich haben wir unsere Gebäude für Menschen zur Verfügung gestellt, die auf der Flucht sind», sagt der vor Ort zuständige Pfarrer. Aber die Aufgaben der kirchlichen Mitarbeitenden gehen noch weiter. Täglich kommen Hilfsgüter für die Bevölkerung in grossem Umfang aus dem Nachbarland Ungarn über die Grenze nach Transkarpatien, staatliche Unterstützung und die der grossen Hilfswerke, unter anderem des MRS, des Ungarischen Reformierten Hilfswerkes und des Malteser Hilfswerkes. Diese so zu verteilen, dass alle Bedürftigen möglichst bekommen, woran es ihnen gerade am nötigsten fehlt, daran haben die dortige reformierte Kirche und die Gemeinden vor Ort wesentlichen Anteil. Der Einsatz der hauptamtlich und freiwillig Tätigen in den Kirchgemeinden ist enorm wichtig. «Ich habe zum Beispiel ein Babyshampoo für eine junge Mutter gesucht – und gefunden. Sie hat sich so gefreut – kaum vorstellbar », erzählt eine Freiwillige.
Gerechtigkeit
Es ist Samstagabend. Die Pfarrersfrau am anderen Ende der Telefonleitung, die gerade von den gestrigen Herausforderungen in der Schulunterkunft erzählt hat und deren Müdigkeit durch das Telefon hindurch zu spüren ist, bricht mitten im Satz ab. «Gerade fährt ein Lastwagen mit Kartoffeln auf den Hof. Da muss ich hin. Wir haben gehofft, dass sie noch kommen. Sie müssen verpackt und verteilt werden. Bis morgen! Gott behüte Euch!» Die möglichst gerechte Verteilung von Hilfsgütern ist ein wichtiges Thema. Für die, die dort am Ort daheim sind und die, die vorübergehend in öffentlichen Gebäuden und in Privathaushalten untergekommen sind. Die Regale in den Geschäften sind bedrohlich leer geworden. Niemand soll hier auch nur daran denken, dass er wegen seiner Nationalität oder seiner Konfessionszugehörigkeit bevorzugt oder benachteiligt wird.
Nächstenliebe
«Den Menschen Mensch zu sein. Jede und jeden so anzunehmen, wie er oder sie gekommen ist – mit all der Trauer, die mit dieser Kriegssituation einhergeht, das ist unser Ziel», erzählt Anna, die auch sonst an der Schule arbeitet. «Vertrauensaufbau ist wichtig. Vergewisserung, dass nicht in jeder Minute etwas Schlimmes geschieht.» Aber das ist in der akuten Kriegssituation nicht einfach. «Es beginnt damit, dass wir Mütter ermutigen, mit ihren Kindern nach draussen zu gehen. Viele sind wie gelähmt und haben einfach Angst vor allem, was vielleicht geschehen könnte. Und das gilt nicht nur für die, die bereits potentiell traumatisierende Erfahrungen gemacht haben. » Und natürlich bringt das Zusammenleben vieler Menschen, die hier kaum Privatheit haben, auch Herausforderungen mit sich. Darum sind vor allem auch Gesprächsangebote wichtig.
Nächtliche Angst
Luftangriffe sind im Westen des Landes seltener. Bombenalarm gibt es seit einem Monat jedoch immer häufiger. Vor allem in der Nacht. «Wer das einmal erlebt hat, schläft unruhig. Niemand weiss, wo es einschlagen wird.» Die Kirchgemeinden sind angewiesen, den Alarm mit Geläut zu unterstützen – einsame Stunden in Ungewissheit, wie diese Nacht zu Ende geht.
Hoffnung
Seelsorgegespräche, gemeinsames Gebet und das Wissen um die Fürbitte und die Unterstützung vieler Menschen in der Gemeinschaft der Europäischen Kirchen (GEKE) und weltweit: Sie gehören in diesen Wochen zu den tragenden Ressourcen der vom Krieg Betroffenen, um die Hoffnung zu nähren, dass es eine Zukunft geben wird jenseits der allgegenwärtig bedrohlichen Unsicherheit.
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(Karin Kaspers Elekes*)
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*Die Thurgauer Pfarrerin Karin Kaspers Elekes pflegt aufgrund eines Partnerschaftsprojekts in der Westukraine gute Beziehungen in der Region. Sie steht täglich mit den Verantwortlichen in Kontakt und hält in den kommenden Ausgaben auch die Leserschaft des Kirchenboten auf dem Laufenden.
Täglich herausgefordert