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«Steuern sind für mich kein Ärgernis»

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30.01.2020
In seinem Buch «Die Kunst des guten Lebens» plädiert Rolf Dobelli dafür, sich nicht mehr aufzuregen. Der Luzerner Erfolgsautor über das Glück, die Gnade Gottes und dass Kinder nicht glücklich machen.

Rolf Dobelli, sind Sie gut ins neue Jahr gestartet?
Ja, mir geht es gut.

Im Ihrem Buch «Die Kunst des guten Lebens» zeigen Sie 52 Werkzeuge für ein gutes Leben. Was ist ein gutes Leben?
Die Philosophie bietet dazu mindestens zehn bis 15 verschiedene Definitionen. Die beste, die ich gefunden habe, stammt aus Griechenland und ist 2300 Jahre alt. Die Stoa bringt es auf die Formel: Gutes Leben basiert auf der Absenz von negativen Emotionen. Wenn Sie die negativen Emotionen in Ihrem Leben stark reduzieren, dann haben Sie ein gutes Leben. Die Glücksgefühle stellen sich dann automatisch ein.

Das klingt simpel: Gelingt es Ihnen tatsächlich, etwa, wenn Sie in einer langen Warteschlange stehen oder bald Ihre Steuerrechnung erhalten?
Ja, ich rege mich nicht auf. Stehe ich in einer Schlange, so habe ich mir ein Limit von zehn Minuten gesetzt, in denen ich mich nicht ärgere. In 99,9 Prozent ist die Wartezeit kürzer. Da ich mich nicht aufrege, bin ich nicht mehr unruhig, angespannt und werde auch nicht wütend, sondern bleibe entspannt. Und Steuern zahle ich gerne. Sie sind für mich kein Ärgernis. Ich weiss, meine Steuern erfüllen zum grossen Teil einen guten Zweck.

Was sind heutzutage die grössten Glückskiller?
Die negativen Emotionen. Doch woher stammen diese? Aus der Forschung wissen wir, dass der grösste Happyness-Killer eine schlechte Ehe ist, dann folgen mühsame Personen aus dem Umfeld, sei es der schlechte Chef oder die Mitarbeiter, mit denen Sie dauernd Stress haben. Und den drittgrössten Glückskiller bilden Kinder. Paare sind tendenziell glücklich, bevor sie Kinder haben. Dann kommen die Kinder und die Glückseligkeit nimmt ab. Sobald die Kinder das Haus verlassen haben, nimmt bei den Eltern das Glück wieder zu. Das zeigt die Forschung in den verschiedensten Kulturen.

Mit Verlaub: Viele sind überzeugt, dass Kinder der Faktor zum Glück sind. Oder die Arbeit, die einen erfüllt, oder das Geld. Ist dies alles ein Trugschluss?
Wir reden hier nicht über den Sinn.

Ja, wir reden über das Glück.
Ich glaube, viele reden sich das Kinderhaben schön. Die Forschung zeigt eindeutig, dass die Eltern tendenziell glücklicher sind, wenn ihre Kinder grösser werden und das Haus verlassen. Die Forschung nennt dies die «U-Kurve» des Lebens.

Beim Sinn des Lebens sieht dies anders aus?
Ja, doch auch der Sinn gehört zu einem guten Leben. Hedonisten behaupten zwar, wir müssten die Lust ständig optimieren, um glücklich zu werden. Ich teile diese Lebensauffassung nicht.

Wie wichtig ist das Materielle für ein gutes Leben?
Wenn Sie arm sind und aufgrund der Geldsorgen Stress haben, dann haben Sie ein schlechtes Leben. Jeder Franken, den Sie zusätzlich verdienen, trägt stark dazu bei, dass es Ihnen besser geht. Sobald Sie jedoch einen bestimmten Level erreichen, gibt es diesen zusätzlichen Effekt nicht mehr. In den USA liegt die Grenze bei einem jährlichen Haushaltseinkommen von 80 000 Dollar. In der Schweiz dürfte dieser Betrag ungefähr bei 10 000 Franken pro Monat liegen. Was diesen Betrag übersteigt, hat für ein gutes Leben null Effekt, egal ob Sie noch eine Million mehr verdienen.

Plädieren Sie für einen Wertewandel in unserer Leistungsgesellschaft?
Ja, auch wenn ich dies nicht explizit ausdrücke. Geld ist nur bis zu einem gewissen Betrag wichtig, darüber hinaus macht das Streben nach mehr Reichtum, nach einem Porsche oder dem Ferienhaus keinen Sinn.

Das sehen viele anders.
Der Glaube ans Materielle ist tief in uns verwurzelt, sodass wir uns kaum ändern können. Die Werbung verspricht uns permanent, kauf dieses Produkt und du wirst ein schöneres, luxuriöseres und besseres Leben führen. Das ist ein Trugschluss. Wir haben kein besseres Leben, wenn wir mehr konsumieren. Das zeigen Forschung und Philosophie.

Im Gegensatz zu anderen Ratgebern setzen Sie auf die Vernunft. Kann man durch Denken sein Bewusstsein verändern?
Ja, doch ganz wird dies nicht gelingen. Niemand führt ein perfektes Leben, jeder begeht Fehler. Es ist eine Sache der Übung und gelingt nur in kleinen Schritten. Wenn Sie immer wieder darüber nachdenken, werden Sie allmählich ein besseres Leben führen.

Sie beziehen sich auf die Philosophie der Stoiker und plädieren dafür, dass man das Leben so nimmt, wie es ist. Jesus fordert in seiner Botschaft hingegen, die Welt zum Guten zu verändern.
Das ist nicht die christliche Botschaft, so wie ich sie verstehe. Sie können machen, was Sie wollen, spenden, Spitäler errichten oder wohltätig sein, ohne die Gnade Gottes geschieht nichts. Durch die eigene Leistung kommen Sie nicht in die Nähe Gottes. Nur durch die Gnade Gottes werden wir heil.

Dieses «allein aus Gnade» ist eine zutiefst reformierte Auffassung. Sehen Sie das Leben als Geschenk? Die Kunst besteht dann darin, das Leben anzunehmen, sodass es wirklich zum Geschenk wird.
Richtig. Da besteht auch eine Parallele zwischen christlichem Glauben und stoischer Philosophie. Dies hat auch historische Gründe. Der Apostel Paulus hat sich mit den Stoikern ausgetauscht und war mit dem Bruder des Philosophen Seneca befreundet. Die Christen haben sehr viel von den Stoikern übernommen, deren Philosophie im 3. Jahrhundert vor Christus entstand. 

Die frühen Christen griffen bei der Deutung ihres Glaubens unter anderem auf die griechische Philosophie zurück?
Ja. Als das Christentum mit der Herrschaft von Kaiser Konstantin zur römischen Staatsreligion aufstieg, gerieten die Stoiker endgültig in den Hintergrund.

Ein zentrales Element des christlichen Glaubens ist die Nächstenliebe. Wie hat diese im guten Leben Platz?
Die Solidarität konfrontiert einen mit den schwierigen Seiten des Lebens, mit der Armut, Krankheit und dem Tod. Im meinem Buch zeige ich mentale Modelle, die helfen, negative Emotionen zu vermeiden. Je nach Lebenssituation braucht es wie bei einem Schweizer Taschenmesser ein anderes Werkzeug.

Gehört die Solidarität zum guten Leben, auch wenn dies uns mit dem Schwierigen im Leben konfrontiert?
Absolut.

Welches ist Ihr wichtigster Rat, um glücklich zu werden?
Einer der wichtigsten Grundsätze lautet, das eigene Ego unter Kontrolle zu haben. Wenn Sie ein grosses Ego haben, dann geraten Sie in Schwierigkeiten. Sie werden ständig enttäuscht, weil Ihnen die Welt nicht den roten Teppich ausrollt. Wenn dieses Ego wegfällt, dann haben Sie viel erreicht. Und wenn Sie dazu verstehen, dass all Ihr Erfolg im Grunde genommen nicht Ihr Verdienst ist, dann fällt dieses Ego weg. Ihre Gene haben Sie von Ihren Eltern erhalten. Und dass Sie in einem reichen Land leben, ist nicht Ihr Verdienst. Genauso hätten Sie in Nordkorea oder im Irak auf die Welt kommen können. Ich nenne dies Zufall, Sie können dies Gnade Gottes nennen.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 30. Januar 2020

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