St. Galler Glocken wecken sinfonisches Echo
Es wäre wohl nie zu dem weltweit einzigartigen Konzert gekommen, wenn Initiator Karl Schimke nicht diese Begeisterung hätte. Der Musiker mit amerikanischen Wurzeln braucht kaum zwei Sätze, um anzustecken. «Ich möchte die Sinne dafür schärfen, wie schön und wichtig Kirchenglocken sind», sprudelt es aus dem Tubisten des St. Galler Sinfonieorchesters. Als er nach Europa gekommen sei, sei ihm das so richtig aufgefallen.
«Glocken unterbrechen den Alltag», betont er, so wie der Gottesdienst zu dem sie rufen. «Ich bin ein Fan von St. Gallen», darum liege ihm daran, dass Menschen ihre Stadt neu und interessiert spüren könnten. «Wer unser Konzert hört, wird den 15-Uhr-Schlag künftig anders wahrnehmen», ist er sich sicher, «als Teil eines Kunstwerks». Er rechne denn auch mit 20'000 Zuhörenden. «Wir haben Medienanfragen aus halb Europa.»
«Identität stiften»
Die besondere Lage der Kantonshauptstadt im 16 Kilometer langen Tal mit ihren 29 Kirchen biete akustisch die optimale Grundlage, die 145 Tonnen Bronze und Guss-Stahl in erbauliche Schwingung zu versetzen. Über zwei Oktaven reiche das Spektrum, von metallen und klar bis dumpf und wuchtig, von der nur 25 Kilogramm leichten Wolfgangskapellen-Glocke bis zur siebeneinhalb Tonnen schweren Dreifaltigkeitsglocke in der Kathedrale.
Besonders freut ihn, dass alle Kirchen mitmachen. «Das hat hohe Symbolik, es ist ein ökumenisches Projekt.» Und es richte für einmal die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Kirchen mit ihrer Botschaft. «Es geht um das Bleibende, nicht um den kurzfristigen Profit.» Das Konzert stifte darum Identität, mit seinem musikalischen und spirituellen Anspruch.
100'000 Franken und 18 Steakmesser
All das sei natürlich auch mit einem hohen Einsatz verbunden. «Meine Frau schätzt meinen Aufwand derweil auf 60 Prozent», scherzt er. Tatsache ist, dass rund 100'000 Franken an Sachleistungen und Sponsorengeldern nötig waren. Und dass 50 Freiwillige seit Monaten die präzise Ausführung des Konzerts proben.
Da pflichtet Felix Esche gerne bei. «Im Februar war meine erste Probe.» Das Projekt habe ihn, der gerne auch mal den Gottesdienst besucht, gleich begeistert. «Es macht Spass und man sieht unbekannte Ecken», erklärt der Mathematiker den Reiz. Sagts und steigt hoch ins Gebälk des Glockenstuhls der Linsebühlkirche, um zu zeigen, wie er den Klöppel bedient, mit straffem Hilfsseil. «Heute habe ich 18 Steakmesser gekauft», ergänzt Schimke. Diese brauche es notfalls, um Klöppel zügig freizugeben.
Spannungsbogen entwickeln
Das könnte nötig sein, weil das Konzert in die Zeitschläge eingebettet ist. Starten wird es demnach mit dem Halbstundengong um 14.30 Uhr, es folgt eine 10-minütige Komposition aus Schimkes Feder. Der Dreiviertelschlag setzt die Zäsur, bevor eine zweite 14-minütige Komposition der russischen Musikerin Natalija Marchenkova Frei erklingt. «Dann schlägt es drei, bevor alle Glocken zum euphorischen Ausklang läuten», erklärt Schimke den Spannungsbogen.
Das Stück seiner Kollegin dürfe mit seinen Harmonien als Reminiszenz an die russische Glockenkultur verstanden werden. Sein eigenes Werk spiele als Sound-Painting mit dem durchs Tal eilenden Klang, per Kaskade und Glissando, bei bis zu zehn Schlägen pro Sekunde. Die Freiwilligen werden sich durch viel Übung und eine eigens konstruierte App auf die anspruchsvollen 64stel-Noten einstellen. Nun sind sie aufs Echo gespannt, buchstäblich und im übertragenen Sinne. Der optimale Hörort findet sich auf der Anhöhe bei Drei Weiheren, eine professionelle Aufzeichnung des Konzerts gibts ebenfalls.
«Zusammenklang», Komposition von Natalija Marchenkova Frei und Karl Schimke für 118 Kirchenglocken, 29 Türme, Sonntag, 21. August, 14.35–15.10 Uhr, St. Gallen
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Reinhold Meier / Kirchenbote / 19. August 2016
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