Schlagfertige Pfarrer und berührende Dichter
Organisatorin Pfarrerin Judith Borter ist gerade damit beschäftigt, weitere Stuhlreihen aufzustellen. Denn Plätze auf den Bänken hat es kaum mehr, und die Warteschlange reicht noch bis auf den Matthäusplatz hinaus. Die Matthäuskirche sei «schon ewigs nicht mehr so voll gewesen», scherzt Mit-Organisator Daniel Frei vom Pfarramt für Weltweite Kirche bei einer kurzen Ansprache.
Als Moderatorin Daniela Dill das Publikum fragt, wer noch nie an einem Slam war, schnellen mehr als die Hälfte aller Hände in die Höhe. Bei der Frage, wer noch die eine Kirche besuchte, traut sich nur eine Frau, die Hand zu heben. «Normalerweise ist das Verhältnis bei Poetry Slams genau umgekehrt», sagt Dill, «es wird also ein spezieller Abend.»
Bei Poetry Slams werden sechsminütige, selbstgeschriebene Texte vorgetragen. Dabei zählt sowohl der Text, als auch die Performance der Dichter, die gegeneinander antreten. Die Slams finden meistens in Kneipen statt, der Preis ist traditionellerweise eine Flasche Whisky, etwas «Geistliches» also, wie Dill scherzhaft sagt.
Nicht nur der Ort und das Publikum unterscheiden sich am 28. Oktober von herkömmlichen Poetry Slams, sondern auch die Poeten: Die Pfarrpersonen Nicole Häfeli (Therwil), Martin Dürr (Basel) und Jürg Scheibler (Basel) treten gegen die Slammer Marguerite Meyer (Zürich), Micha de Roo (Basel) und Jens Nielsen (Zürich) an. Es ist ein Team-Slam, bei dem nicht eine Einzelperson gewinnt, sondern eine ganze Gruppe.
Überzeugende Performances
In der ersten Hälfte des Abends treten die Kontrahenten mit Texten über ein im Voraus bestimmtes Thema an. Dabei dreht sich alles um Gegensätze. Martin Dürr macht den Anfang über das Thema Arm/Reich. Dürr ist sich das Texten für ein Publikum ausserhalb der Kirche gewohnt: Neben seinen Predigten als Pfarrer schreibt er regelmässig Kolumnen und war auch schon im Radio zu hören. Sein Auftritt kommt sehr professionell über die Bühne, er ist weder holprig in den Formulierungen noch schüchtern beim Auftritt.
Dürrs Gegner ist in der ersten Runde Micha de Roo, ein bekanntes Basler Slam-Talent, das auch an der Fasnacht als Schnitzelbänggler unterwegs ist. Er liest auf Mundart eine humoristische Parodie auf Adam und Eva – im Schweizer Diminutiv «Adi und Evi» –, die von einem Amerikaner zum kapitalistischen Handel mit ihren Äpfeln angestachelt werden und somit die Ungleichheit auf die Welt bringen. Der Applaus des Publikums, das sich für einen ersten Sieger entscheiden muss, fällt ausgewogen aus. Unentschieden also. Ein Ballon für die Pfarrer, einer für die Poeten.
Als nächstes ist das Thema Mann/Frau an der Reihe. Pfarrer Jürg Scheibler bedient sich rhythmischer Stilmittel und sorgt so für eine überraschende, kurzweilige Performance. Doch die Poetin Marguerite Meyer überzeugt das Publikum mit einem persönlichen Slam über ihr eigenes Frau-Sein und ihre Grossmutter, welche lange auf ihr Stimmrecht gewartet hat.
Die dritte Runde startet Pfarrerin Nicole Häfeli zum Thema Nord/Süd. Der Auftritt ist klassischer als der ihrer Kollegen, sie setzt vor allem auf Dichtung. Ihr Text ist ein Aufruf, sich von der Ungleichheit dieser Welt nicht entmutigen zu lassen und sich stattdessen im Kleinen zu engagieren. Das Publikum für sich gewinnen kann aber Jens Nielsen mit seiner witzigen, etwas schrägen Schilderung, wie sich sein sicheres, sauberes Quartier allmählich der indischen Grossstadt Kalkutta annäherte.
Ehrenvolle Niederlage für die Pfarrer
Im zweiten Teil des Abends werden Texte über ein frei gewähltes Thema performt. Den Pfarrpersonen gelingt zwar kein Aufholen mehr, aber Dürr und Scheibler holen je einen Punkt. Das Endresultat von vier zu drei kann sich also durchaus sehen lassen.
Martin Dürr, der als einziger seines Teams die volle Punktzahl holt, ist von dem guten Resultat begeistert. Er hat sichtlich Feuer gefangen und spricht schon jetzt davon, dass er gerne nochmals antreten würde, sollte nächstes Jahr wieder ein Preacher Slam stattfinden. Das war nicht immer so. Organisatorin Judith Borter musste ihn anscheinend mehrere Jahre bearbeiten, bis er endlich einwilligte.
Eine Entscheidung, die er keinesfalls bereut: «Es ist wichtig, dass wir uns als Kirche immer wieder selbst hinterfragen um herauszufinden, wie wir für die Leute weiterhin relevant bleiben», sagt er. «Wir müssen uns fragen: Haben wir überhaupt noch die Sprache, um die Leute zu erreichen?» Es schade ihm und seinen Berufsleuten nicht, hin und wieder das geschützte Umfeld des kirchlichen Publikums zu verlassen und «zu gewöhnlichen Arbeitsbedingungen» zu arbeiten. Obwohl er weder die anderen Pfarrer noch die Slammer vorher kannte, habe es bei allen sechs viele Berührungspunkte gegeben. «Es war auch spannend, zwei meiner Kollegen einmal auf diese ganz neue Art zu erleben», sagt Dürr.
Mara Wirthlin / Kirchenbote / 31. Oktober 2016
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Duell 1, «Arm & Reich»
Duell 2, «Frau & Mann»
Duell 3, «Nord & Süd»
Schlagfertige Pfarrer und berührende Dichter