«Polizei hätte diplomatischer vorgehen können»
«Die Polizei hätte den jungen Mann auf dem Präsidium befragen und einen Islam-Experten beiziehen können, anstatt «Erregung öffentlichen Ärgernisses» zu rapportieren», sagt Joachim Finger, Leiter der Fachstelle für Religionen und Weltanschauung, zum Fall des 22-jährigen Orhan E. Dieser hatte am 12. Mai 2018 auf der Fulachstrasse in Schaffhausen «Allahu Akbar» gerufen, als er einen Freund erspähte.
«Erregung öffentlichen Ärgernisses»
«Allahu Akbar» ist arabisch und bedeutet so viel wie: «Gott ist der Grösste.» In der letzten Zeit riefen dies Terroristen bei ihren Anschlägen. Eine uniformierte Polizistin hörte den Ausruf und unterzog den jungen Mann zusammen mit weiteren Kollegen einer Personenkontrolle.Sie protokollierte den Vorfall und hielt einen Verstoss gegen Artikel 18 der städtischen Polizeiordnung wegen «Erregung öffentlichen Ärgernisses» fest.
Im vergangenen August schickte die Stadtpolizei dem jungen Mann eine Busse von 150 Franken plus 60 Franken Bearbeitungsgebühr. Orhan E. zahlte die Busse, weil er «Angst davor hatte, im Gefängnis zu landen». Anfang Januar wandte er sich in der Pendlerzeitung «20 Minuten» an die Öffentlichkeit mit den Worten: «Ich fühle mich diskriminiert.» Zum «Allahu Akbar»-Ruf sagte er in den Medien: «Nur weil Terroristen diese zwei Wörter missbrauchen, bedeutet das nicht, dass ich eine böse Absicht habe, wenn ich sie verwende.» Dies habe er der Polizistin minutenlang zu erklären versucht, und er habe auch nicht geschrien, wie es im Polizeirapport stehe.
Türkischer Kulturverein distanziert sich
Die Szene spielte sich im vergangen Frühling in der Nähe des Lokals des türkischen Kulturvereins Schaffhausen ab, der sich als nicht religiöser Zusammenschluss versteht. «Der junge Mann liess sich für ‹20 Minuten› vor unserem Vereinslokal fotografieren, dabei ist er kein Mitglied unseres Vereins», betonte Präsident Özkan Aytaç. «Wir unterstützen den Ausspruch nicht und erachten die Busse als gerechtfertigt.»
Auch die Schaffhauser Polizei bekräftigte in den «Schaffhauser Nachrichten», dass die Polizistin richtig gehandelt habe. «Zu dieser Uhrzeit bestand die Möglichkeit, dass die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt werden könnte», so Patrick Caprez, Mediensprecher der Schaffhauser Polizei. Er erklärte: «Sobald einem Polizisten etwas auffällt, schaut er genauer hin, stellt fest und rapportiert gegebenenfalls.» Da der Ausdruck «Allahu Akbar» in jüngerer Vergangenheit auf der ganzen Weltvon Fanatikern oftmals vor Terrorakten gerufen worden sei, müsse ein solcher Sachverhalt genau überprüft werden.
«Allahu Akbar»-Ausruf nicht verboten
Aus der Busse zu schliessen, dass der Ausspruch in Schaffhausen verboten sei, ist laut Romeo Bettini, Bereichsleiter Sicherheit und Öffentlicher Raum der Stadt Schaffhausen, aber falsch: «Es war die Art und Weise des Ausspruchs, die zur Busse geführt hat. Kontrollen bei schreienden Personen, die anderen Angst einflössen könnten, gehören zum gewöhnlichen Polizeialltag.»
«‹Allahu Akbar› ist eine liturgische Formel, die Moslems mindestens fünfmal am Tag beim Pflichtgebet verwenden. Sie benützen den Ausdruck auch im Sinne von ‹Gott sei Dank›, ‹Oh mein Gott› oder ‹um Gottes Willen›», sagt Joachim Finger. Als Begrüssungswort sei ihm die Formel in Schaffhauser Moscheen noch nie aufgefallen, so der Islam-Experte.
«Moslems müssen sich bewusst sein, dass gewisse Dinge bei uns Schrecken auslösen. Diese Wendung gehört dazu, man bringt sie mit Terroristen in Zusammenhang», räumt Finger ein und führt aus: «Man kann mit solchen Sprüchen Leute beleidigen und provozieren. Aber wenn man sie in der Öffentlichkeit strikt kontrollieren und verbieten würde, wäre dies gegen die Religionsfreiheit.»
Verhältnismässigkeit wahren
Im Falle des jungen Türken müsse man die Verhältnismässigkeit sehen. «Seine Muttersprache ist türkisch. Ich gehe davon aus, dass er mit arabischen Wendungen nicht ausreichend vertraut ist. Zudem spricht die Tatsache, dass er diesen Ausruf unmittelbar neben einem Polizeiposten ausgesprochen hat, für jugendlichen Leichtsinn.» Der Vorfall habe nicht in einer grossen Öffentlichkeit stattgefunden. «Wäre der junge Mann auf dem Fronwagplatz mitten in Schaffhausen auf einen Brunnenrand gestiegen, um ‹Allahu Akbar› zu rufen, wäre das viel brisanter gewesen», so Finger. «Meiner Meinung nach hätte die Polizei hier diplomatischer vorgehen können.»
Als «islamophobe Tat» sieht die Gruppierung «Linke People-of-Color Zürich» den Fall. Sie hat laut Medienberichten eine Strafanzeige wegen Rassendiskriminierung gegen die Polizistin eingereicht.
Adriana Schneider, kirchenbote-online, 25. Januar 2019
«Polizei hätte diplomatischer vorgehen können»