News aus dem Thurgau
Spitalseelsorgerin Barbara von Sauberzweig

«Mich interessiert der Mensch»

von Matthias Zehnder/tsc
min
04.02.2024
Seit 25 Jahren betreut die reformierte Pfarrerin Barbara von Sauberzweig Patientinnen und Patienten in den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel – einige davon ein Leben lang.

Barbara von Sauberzweig: Unterscheidet sich Seelsorge für psychisch erkrankte Menschen von der Seelsorge für andere Menschen?

Nein, gar nicht. Ausser vielleicht, dass die Patientinnen und Patienten oft schon einen Schritt weiter sind: Wer in der Klinik ist, kann bereits Hilfe annehmen und hat eingesehen, dass er Unterstützung braucht. Davon abgesehen sind es Menschen wie du und ich. Sie haben die gleichen Bedürfnisse wie alle anderen Menschen.

Brauchen psychisch Erkrankte nicht eher einen Psychiater als eine Pfarrperson?

Es geht nicht um entweder oder, sondern um sowohl als auch. Wir Seelsorger sind nicht zuständig für die psychische Erkrankung. Aber wir sind zuständig für die Sinnfrage, die Existenzängste und natürlich für alle spirituellen und religiösen Fragen. Körperlich Erkrankte brauchen ja neben dem Chirurgen oder dem Mediziner manchmal auch eine Pfarr-person. Der Mensch ist mehr als nur sein Körper und sein Verstand.

 

Spitalseelsorgerin Barbara von Sauberzweig, UPK Basel.

Wie gehen Sie denn mit der Sinnfrage um?

Die Sinnfrage, das Warum, kann die Klinik nicht beantworten. Was gibt mir noch Sinn? Was mache ich, wenn mein Körper nachlässt? Da -können wir Seelsorger einspringen. Wichtig ist mir dabei, dass ich an die Menschen glaube.

Sie glauben an die Menschen – was heisst das?

Es heisst, dass ich zweckfrei auf den Menschen vertraue. Wir dürfen die Seelsorge nicht der Wirtschaftlichkeit unterwerfen. Damit geben wir die Seelsorge auf. Die Seelsorge ist «antiwirtschaftlich». Wir begleiten die Menschen nicht ökonomisch. Wir sind die Gegenbewegung zum ökonomischen zweckorientierten Denken. Ich begleite seit über zwanzig Jahren eine Frau. Es ist die schlimmste Missbrauchsgeschichte, die ich in meiner ganzen Karriere gehört habe. Sie wurde seit ihrem fünften Lebensjahr missbraucht. Sie hatte Angstzustände, war hochintelligent. Die Institutionen haben sie aber aufgegeben. Man wusste nicht mehr weiter, alle verfügbaren Behandlungen waren aufgebraucht. Ich habe immer an sie geglaubt. 19 Jahre nach unserer ersten Begegnung hat sie es endlich geschafft, sich aus einer toxischen Beziehung zu befreien. Heute lebt sie selbstständig und sagt, sie sei so glücklich wie noch nie. Das ist Seelsorge, aber es ist nicht wirtschaftlich. Wir Seelsorger vertreten das Prinzip Hoffnung. Wir vermitteln den Glauben, und sei es nur der Glaube ans Morgen. Das ist elementar für mich.

Mit welchen Diagnosen sind Sie konfrontiert?

Ich habe es nicht mit Diagnosen zu tun, sondern mit Menschen. Die Diagnose interessiert mich nicht. Mich interessiert der Mensch.

Haben Sie mit langjährigen Patientinnen und Patienten zu tun oder immer wieder mit anderen Personen?

Beides. Natürlich kommen immer wieder neue Patienten. Zum Beispiel in Trauersituationen. Wenn jemand eine Tendenz hat, mit einer Psychose oder einer Depression zu reagieren, ist die Gefahr gross, dass die Person immer wieder so reagiert. Ich werde auch immer wieder von Menschen konsultiert, die nichts mit Psychia-trie zu tun haben. Sie wissen: Wer in der psychiatrischen Klinik arbeitet, dem ist nichts Menschliches fern.

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Seit kurzem schreibt Georg Stelzner für den Kirchenboten. Der 66-jährige Journalist aus Sulgen ist Fussballfan und leidenschaftlicher Leser lateinamerikanischer Literatur – wenn er überhaupt dazu kommt.