Long Covid-Erkrankte schreibt Lobgesang
Am Freitag verlässt mit Judith Hosennen die letzte Inklusin die Zelle. Die Organisator:innen ziehen ein positives Fazit angesichts der entstandenen Initiativen rund um das Wiboradaprojekt im Jahr 2024 wie zum Beispiel einem Wiborada-Hymnus, geschrieben von der an Long Covid Erkrankten Eveline Strübi.
Rechtzeitig zum Abschluss von Wiborada2024 ist ein zeitgenössischer Hymnus, ein Lobgesang auf Wiborada, auf Youtube erschienen. Der schlichte elfstrophige Gesang im gregorianischen Stil besticht durch die klare Stimme von Bettina Kugler, Kultur-Redaktorin beim St.Galler Tagblatt und Kantorin in der Kathedrale St.Gallen, sowie durch Orgel-Improvisationen von Domorganist Christoph Schönfelder. Der Text stammt von Eveline Strübi, die seit ihrer Long Covid Erkrankung im 2022 selbst eine Form von Inklusinnen-Leben, zurückgezogen von der Welt, erlebt. «Einen Hymnus zu schreiben über eine so starke, weise, mutige und tief gläubige Frau, war ein grosses Geschenk», sagt sie dazu.
Auf Instagram
Strübi postet auf Instagram unter dem Namen @lebenamnullpunkt über ihre Krankheit und das, was ihr Kraft gibt: So habe sie selbst einmal eine Woche in der Wiborada-Zelle verbracht. «Der Rückzug ins stille Gebet, das Fenster zur Aussenwelt mit all den bunten und berührenden Begegnungen und das gemeinschaftliche Stadtgebet abends, das ich durch das Fenster zur Kirche hin mitbeten durfte, dieser Dreiklang brachte mein Herz damals zur inneren Ruhe.» Bis heute trage sie diese Erfahrung in ihrer Krankheit, die sie täglich neu in Demut und Verzicht herausfordere.
Schulklassen übten, «einfach mal nichts» zu tun
Neben zehn Gruppen besuchten auch 20 Schulklassen im Jahr 2024 die nachgebaute Wiborada-Zelle und sprachen mit der jeweils eingeschlossenen Person. Monika Terzer, die die Schulführungen organisiert hatte, zeigt sich begeistert über das Interesse der Schüler:innen: «Eine Schulklasse, die von der Lehrerin als besonders lebhaft beschrieben wurde, fand ich nach der Schulführung in der St.Mangenkirche ruhig sitzend. Auf meine Frage, was sie denn gerade tun würden, antworteten sie, dass ihnen der Inkluse Hansruedi Felix erklärt hatte, dass er es am meisten geniesse, in der Zelle «nichts» zu tun. Das wollten sie nun auch ausprobieren», schmunzelt Terzer.
HSG Studierende suchten Stille
Dass Schulklassen von Wiborada erfahren, ist – angestossen durch Wiborada2021-2026 – ein relativ neues Phänomen. «Im Gymnasium habe ich gelernt, wer Gallus und Vadian sind, aber von Wiborada nie etwas gehört», sagt etwa Lea Vannini, Studierende an der HSG im Studiengang «Management, Organisation und Kultur». Mit zwei Mitstudierenden machte sie sich im Frühlingssemester 2024 auf die Suche nach der Stille – und stiess dabei auf Wiborada von St.Gallen.
«Mit unserem kreativen Projekt wollten wir einerseits die positiven wie negativen Auswirkungen von Stille bei jungen Leuten aufzeigen und andererseits die Geschichte der Wiborada von St.Gallen beleuchten, bei der es sowohl die stillen Momente wie auch die Momente der Begegnung gab», erklärt sie. Das Semesterprojekt fand seinen Abschluss mit einer Theatervorstellung in der Lagerhalle des HSG Square, bei dem ein Garderobengestell zum offenen Wiborada-Fenster umfunktioniert wurde. «Wir nutzten die Dunkelheit, um den Smartphone-Entzug und die Ruhe symbolisch darzustellen», so Lea Vannini. Wünsche der Studierenden sammelten sie in einem Tagebuch und überreichten sie an Judith Bischof (Inklusin im Jahr 2024) und Kathrin Bolt (Inklusin im Jahr 2022).
Genuss ohne Smartphone
Apropos Smartphone-Entzug: Die Zeit ohne sein Handy hat der bisher jüngste Wiborada-Inkluse, der 32-jährige Gabriel Imhof, «total genossen»: «Anstelle von Social Media konnte ich das Fenster der Zelle aufmachen und mich auf reale Begegnungen mit Menschen einlassen», erzählt der Religionspädagogik-Student und Gastgeber des «Fadegrad»-Podcasts.
Besonders eindrücklich habe er es erlebt, eine Woche in einer Art Tiny House zu verbringen, dessen Boden, Decke und Wände ausschliesslich aus Holz sind. «Es fühlte sich an, wie in einem Baum zu leben.» Die einzige Bewegung sei von der Flamme einer Kerze und ihm selbst ausgegangen. «Zurück aus der Zelle habe ich gemerkt, wie voll mein Alltag ist und wie das, was mich innerlich bewegt, angesichts der vielen Eindrücke gar nicht zum Tragen kommt», so Imhof.
Wiborada, die «Schweizer Prophetin»
Als «starke und unüberhörbare Stimme» angesichts einer reizüberfluteten und entwurzelten Gesellschaft sowie als «Schweizer Prophetin» bezeichnete Philippa Rath die Heilige Wiborada kürzlich bei ihrer Wiborada-Rede in der St.Galler Stiftsbibliothek. In ihrer Rede zeichnete sie das Bild einer starken, selbstständigen und selbstbewussten Frau, die sich durch Furchtlosigkeit, Klugheit und Weitsicht auszeichnete und damit prophetische Qualitäten habe. Denn, so Rath: «Propheten sind Menschen, die ansagen, was die Stunde geschlagen hat. Die die Zeichen der Zeit erkennen, statt dem Zeitgeist zu folgen, die ihre Mitmenschen aufklären, ermahnen und zur Umkehr rufen.» Wiborada zeige, dass weder Konsum noch Leistung, Erfolg oder Macht auf Dauer befriedigen können, sondern die Suche nach dem Ursprung des Seins.
Bewerbung für 2025 ab sofort möglich
Das Wiboradaprojekt wird bis ins Jahr 2026 weitergeführt, wenn sich der Tod Wiboradas zum 1100. Mal jährt. Interessierte, die im Mai 2025 für eine Woche in der nachgebauten Wiborada-Zelle leben wollen, können sich bereits jetzt bewerben unter https://wiborada.sg/inklusen2025
Long Covid-Erkrankte schreibt Lobgesang