Leserbriefe verraten politischen Charakter
Wer die Politlandschaft seines Kantons kennt, stellt fest, dass die meisten Leserzuschriften von den Parteien und den Kandidierenden «organisiert» sind, auch wenn das nicht in jedem Fall deklariert wird. Meistens sind es also Parteifreunde und -freundinnen, die eine Person in den Nationalrat oder in den Ständerat loben. Bei so viel Lob wird die Wahl schwierig – vor allem, wenn man berücksichtigt, dass es in den meisten Fällen organisiertes Eigenlob aus der eigenen Partei ist.
Meine Mutter hat mir einmal gesagt, dass Eigenlob «stinke». In Einzelfällen gehen die munteren Leserbriefschreiberinnen und -schreiber einen Schritt weiter. Sie verbinden das Eigenlob damit, dass sie im gleichen Atemzug auch die politische «Konkurrenz» schlecht machen. Ein Beispiel gefällig? Da empfiehlt ein Leserbriefschreiber einen Juristen seiner Partei zur Wahl in den Nationalrat und argumentiert, dass rechtliche Themen in der Politik «nicht durch Rechtsverdreher verwässert» werden dürften. Damit rückt er Juristen mit anderer Parteifarbe in die Nähe von «Rechtsverdrehern».
Meine Mutter hatte recht: Eigenlob stinkt. Noch schlimmer ist es, wenn man versucht, jemanden besser zu machen, indem man andere abwertet und – selbstverständlich ohne den Namen zu nennen – beleidigt. Beim Lesen der Leserbriefe erfahren Sie nicht nur etwas über die Kandidierenden, sondern auch etwas über den Charakter der Schreiberinnen und Schreiber und über die Dialogfähigkeit der Partei, die sich – sichtbar oder unsichtbar – hinter den Namen der Leserbriefschreibenden verbirgt. Lesen Sie Briefe von Leserinnen und Lesern zu den Wahlen – es lohnt sich.
Leserbriefe verraten politischen Charakter