Lernen zu hinterfragen
«Ich habe die Theologie gewählt, weil ich mich nicht auf ein einzelnes Fach festlegen wollte. Denn ich konnte mich nicht zwischen Geschichte, einem Sprachstudium und Philosophie entscheiden», erzählt Judith Engeler. Das Theologiestudium ist breit angelegt, und so kam auch ihr Geschichtsinteresse nicht zu kurz. Kirchengeschichte sei von Anfang an ein Lieblingsfach gewesen, auch wenn sie an allen Fächern Gefallen gefunden habe.
Auf den Grund gehen
«Das Theologiestudium ist ein ‹Studium generale› und lehrt einen, Vieles zu hinterfragen. Unsere Gesellschaft wird immer Menschen brauchen, die vernetzt denken können und die Hintergründe gewisser Vorgänge und gesellschaftlicher Entwicklungen verstehen und einordnen können. Für die reformierte Kirche ist es noch wichtiger, dass Menschen in ihr leben und arbeiten, die den wichtigen Fragen auf den Grund gehen wollen und können und nicht einfach irgendwelche Halbwahrheiten akzeptieren.»
Lehrreiches Vikariat
Lange Zeit war Engeler unentschlossen, ob die Arbeit im Pfarramt etwas für sie sei: «Zu Beginn des Studiums habe ich das sogar noch ausgeschlossen.» Im Vikariat erfuhr Judith Engeler aber Begeisterung für den Beruf: «Dazu beigetragen hat auch zu einem grossen Teil die Kirchgemeinde Romanshorn-Salmsach, deren Mitglieder mir mit grossem Wohlwollen begegnet sind. Ich durfte ein tolles Jahr verbringen und wahnsinnig viel lernen.» Auch wenn sie sich im Studium manchmal mehr Praxisorientierung gewünscht hätte, lernte sie in der Gemeindearbeit die Tiefe der theologischen Ausbildung zu schätzen.
Kirchengeschichte begeistert
Der Impuls zu ihrer Dissertation ging aus von ihrem Doktorvater Peter Opitz, Professor für Kirchen und Dogmengeschichte von der Reformationszeit bis zur Gegenwart an der Universität Zürich. «Er hat mir das Erste Helvetische Bekenntnis von 1536 vorgeschlagen. Ich untersuche dabei, wie theologische und politische Gesichtspunkte miteinander verknüpft waren und welche Rolle sie bei der Abfassung des ersten gesamtschweizerischen Bekenntnisses gespielt haben», erläutert Judith Engeler. Ihre Begeisterung für die Kirchengeschichte ist auch heute spürbar.
Persönliche Entwicklung
Sie sieht die Zeit ihrer wissenschaftlichen Arbeit vor allem als eine Art Weiterbildung an. «Nicht nur inhaltlich – ich denke, da kann nebst der Forschung auch meine zukünftige Kirchgemeinde profitieren – sondern auch persönlich. Für ein halbes Jahr forschte sie am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz, das ihre wissenschaftliche Arbeit mit einem Stipendium unterstützte.
Antworten suchen
Judith Engeler empfiehlt das Theologie-Studium gerne weiter: «Es ist ein tolles Studium!» Mitbringen sollte man ein breites Interesse in den Bereichen Geschichte, Sprache, Ethik, Philosophie und unserer Kultur sowie Diskussionsfreude. Und sie fügt hinzu: «Der Glaube an den dreieinen Gott ist keine unbedingte Voraussetzung. Suchen sollten zukünftige Studierende Antworten auf die grossen Lebensfragen, aber nicht die Erwartung haben, diese im Studium zu finden. Dafür braucht es mindestens ein ganzes Leben.» Am 1. Dezember 2021 wird sie ihre erste Pfarrstelle antreten und dies ganz in der Nähe ihres jetzigen Wirkungsortes, in Zürich Altstetten.
(Karin Kaspers Elkes)
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