Kräuter würdigen, Schöpfung loben
Autor Christian Kaiser bezeichnet sich als «Gehdichter». Denn seine Gedichte entstehen meist im Gehen in der Natur. Zudem finden viele seiner Lesungen in Form eines Rundgangs statt. In seinen Gedichten geht es oft um die Heilwirkung der Pflanzen, wie sie seit Jahrhunderten in Büchern von Klosterbibliotheken dokumentiert sei. «Bei meinen Recherchen verwende ich unter anderem einen Band von 1654», sagt Christian Kaiser. Die klösterliche Tradition im Umgang mit Kräutern sei in der Kartause bei Ittingen noch heute zu sehen. Beispielsweise beim «Thymianbeet»: «Ein Thymianbett, in welches sich die Kartäuser legten, um zu meditieren.»
Kraut erzählt Geschichte
Die Inspiration für ein neues Gedicht könne auf verschiedenen Wegen kommen, sagt Kaiser. Im Idealfall springe ihn ein Kraut am Wegrand an und erzähle ihm seine Geschichte: «Der klassische Musenkuss eben.» Vieles sei aber auch Knochenarbeit: aufwändige Recherchen, herumtüfteln, verwerfen. Seine Texte haben oft auch einen Bezug zu spirituellen Themen. Denn viele Pflanzen stecken voller christlicher Symbolik: «die Lilien auf dem Felde, der Weinstock, der (Granat-)Apfel.»
Natur bietet reichen Fundus
«Pflanzen eignen sich als Projektionsfläche für menschliches Verhalten.» So könne beispielsweise die «Gemeine Hasel» für empfindlichere Wesen mit Heuschnupfen oder Haselnussallergie durchaus erbarmungslos sein. «Die Pflanzennamen bieten sprachlich einen reichen Fundus, mit dem ich als Dichter spielen kann.» Kaiser ist überzeugt: Wer seine natürliche Umgebung kennt, der hat viel mehr vom Leben. «Von Pflanzen können wir einiges lernen»: Etwa die Ausrichtung zum Licht, das Verwurzeltsein oder das Tragen von Früchten.
Doch klösterliche Pflanzenpoesie sei nichts Neues. Ein Abt der Reichenau habe schon im 9. Jahrhundert seine Kräuter in Gedichten gepriesen. Teile daraus hat Kaiser in eine zeitgemässe Sprache übersetzt. «Ich sehe mich durchaus in dieser Nachfolge.» Es gehe darum, die Schöpfung zu loben – möglichst kunstvoll, mit den Mitteln und in der Sprache der Zeit. So soll die «Giesskanne der Tradition» weitergetragen werden.
Kräuter richtig nutzen
Auch das Museum für Archäologie Thurgau beschäftigt sich mit dem «Arzneischrank Natur». Im September konnten Kinder mit Archäologin und Biologin Britta Pollmann im Archäobotanischen Museumsgarten Heilpflanzen ansehen. «Beeindruckt hat sie vor allem, dass viele Pflanzen heilend, bei ungenauer Dosierung aber giftig wirken.»Theologin Regina Pauli ist ebenfalls von Kräutern begeistert. Besonders angetan haben es ihr die Wildkräuter. Ob Brennnessel, Gundermann oder Spitzwegerich: Pauli hat für sie alle eine Verwendung. «Doch viele kennen die Pflanzen in unserer Umgebung nicht mehr. Oft werden sie als Unkraut abgetan», sagt Pauli. Dem sei nicht so. Besonders im Frühling enthielten die Kräuter viele Mineralien und Vitamine.
Keine Pflanze vergebens
Die Blätter der Brennnessel seien eine Nährstoffbombe und wirken laut Pauli beispielsweise harntreibend. Der Gundermann besitze entzündungshemmende Eigenschaften und helfe bei Magenleiden. Der Glaube spiele für ihre Faszination eine zentrale Rolle: «Keine Pflanze ist vergebens da.» Es sei eine Art von Wertschätzung und Achtung der Schöpfung gegenüber, auch Wildkräuter zu ästimieren und zu nutzen. Viele seien essbar, andere zum Gebrauch für Heilmittelgewinnung und wenige auch blosse Augenweiden.
Botaniklyrik im Rahmen des Bodensee-Klostererlebnistag «Gegen alles ist ein Kraut gewachsen»: 10. Oktober 2021, 14.00 und 16.00 Uhr, Kartause Ittingen. Infos und Anmeldung: www.tecum.ch
Rezepte mit Kräutern von Regina Pauli finden Sie hier.
Mehr Informationen zum Thema Heilkräuter und ihre Geschichte finden Sie hier.
(Jana Grütter)
Kräuter würdigen, Schöpfung loben