Kirche auf den Kopf stellen
Bewaffnet mit Hammer und Nagel stehen die Kirchgemeindevertreter vor dem Nachbau der Wittenberger Schlosskirchentür. Dabei haben sie ihre Thesen. «Die Kirche hat nur dann eine Zukunft, wenn sie gründlich auf den Kopf gestellt wird», steht auf einer Pergamentrolle. Die These stammt von Monika Brauchli aus der Kirchgemeinde Alterswilen-Hugelshofen. Was meint sie damit? «Wenn die Kirche in diesem Trott weitermacht, sterben die Kirchbürger irgendwann aus.» Es brauche mehr Anpassung an die heutige Zeit – auch wenn sie zugegebenermassen kein Patentrezept parat habe.
Bei den Gebäuden sparen?
Diakon Mathias Hüberli aus Egnach setzt nebendran gerade zum Schlag an. «Gemeinschaftspflege statt Denkmalpflege», lautet eine der Thesen aus seiner Kirchgemeinde. Entstanden sei sie in der Jugendgruppe. Dahinter stehe der Gedanke, dass mehr Kraft, Energie und auch Finanzen in das Miteinander statt in die Kirchengebäude gesteckt werden sollen. «Vielleicht wollen die Jugendlichen damit auch sagen, dass die Kirche Neues wagen soll», ergänzt Hüberli.
Reformation aktiv angehen
Kirchenratspräsident Wilfried Bührer freut sich über die vielen – teils provokativen – Thesen aus den Kirchgemeinden. Die Landeskirche habe mit dem Aufruf die Gemeinden bewusst herausfordern wollen, sich mit der Reformation der Zukunft zu befassen und diese aktiv anzugehen. «Im Februar 2018 führt der Kirchenrat eine Tagung durch, um die zukünftige Ausrichtung der Kantonalkirche zu besprechen. Da werden auch die Thesen eine wichtige Rolle spielen», sagt Bührer.
Wie wachsen Gemeinden?
Den Thesenaufruf für den Kirchensonntag sind die Kirchgemeinden ganz unterschiedlich angegangen. In Neukirch an der Thur haben Pfarrer Matthias Maywald und die Kirchenvorsteherschaft extra zu einem Gemeindeabend eingeladen. In Gruppen haben etwa zehn Kirchbürgerinnen und Kirchbürger Thesen erarbeitet. «Das Wachstum der Gemeinde über die eigenen Bedürfnisse stellen», lautet eine davon.
Maywald erklärt: «Wir sind laufend daran, Gottesdienstformen zu finden, die mehr Leute ansprechen. Voraussetzung dafür ist, dass die Gottesdienstbesucher kompromissbereit sind. Das heisst: Sich auch mal über ein Lied freuen, das einem selber nicht so gefällt und dafür bei anderen gut ankommt.» Auch in der Evangelischen Kirchgemeinde Braunau macht man sich Gedanken, wie die Kirche die Menschen besser erreichen kann. Ihre Erkenntnis hat die Kirchenvorsteherschaft in folgender These festgehalten: «Kirche zum Menschen, nicht umgekehrt!»
50 Thesen hängen an der Tür
Christine Del Torchio, Kirchenvorsteherin aus Braunau, ist überzeugt, dass eine Kirchgemeinde nicht jeden neuen Trend mitmachen soll. «Aber es braucht neue Formen, den Menschen eine Gemeinschaft zu bieten – auch ausserhalb des Gottesdienstes. Wir müssen näher zu den Menschen.» Von der Tür ist mittlerweile nicht mehr viel zu erkennen. 50 Thesen hängen am Ende des Kirchensonntags daran.
(Text/Bild: Cyrill Rüegger, 11. Juni 2017)
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