News aus dem Thurgau

Immer mehr Bibelgärten entstehen

von Inka Grabowsky
min
01.06.2023
Er ist Treffpunkt, Gemeinschaftsprojekt, Anschauungsobjekt und Ort der inneren Einkehr: der Bibelgarten. Doch was genau hat er mit der Bibel zu tun?

110 Pflanzenarten werden in der Bibel erwähnt, und bei weitem nicht jede ist so bekannt wie die Weinrebe. Um das zu ändern, gibt es Bibelgärten. Einer davon befindet sich mitten in Gossau (SG) und hat Jean-Pierre Sitzler von der Erwachsenenbildung der Katholischen Kirche im Thurgau zu einer Exkursion inspiriert: «Man kann die Bibel dort mit allen Sinnen erfahren. Jeder kennt beispielsweise die Geschichte, wie Moses in einem Binsenkörbchen ausgesetzt wurde. In Gossau kann man Binsen sehen und viel über sie lernen.»

Im Juni beginnt in der Schweiz die Zeit der ‹grünen Wüste›. Die Bienen würden verhungern, wenn man nicht zufüttert.
Der Bibelgarten in Gossau zeigt rund fünfzig Pflanzen, die in der Bibel erwähnt werden. (Bild: zVg)
In Romanshorn entsteht ein Bibelgarten. Der Apfelbaum bildet das Zentrum von vier Beeten. (Bild: Inka Grabowsky)
Sechs Kreise sind im «Buntä Chilä Gartä» in Sirnach wie Blütenblätter um ein Zentrum angelegt. (Bild: zVg)
Beno Kehl pflanzte mit Jugendlichen einen Quittenbaum, der inzwischen bereits Früchte getragen hat. (Bild: zVg)
Kehl pflegt den «Buntä Chilä Gartä», der sich direkt bei der Kirche in Sirnach befindet. (Bild: Claudia Schenk)
Das Labyrinth in der Kartause Ittingen lädt zum Finden der eigenen Mitte ein. (Bild: Inka Grabowsky)


Blütenvielfalt für die Bienen

Der «Buntä Chilä Gartä» hinter der Kirche in Sirnach entstand vor drei Jahren auf Anregung von Beno Kehl. «Ich bin Imker und betreue – verbunden mit der franziskanischen Gassenarbeit – viele Bienenvölker. Im Juni beginnt in der Schweiz die Zeit der ‹grünen Wüste›. Die Honigbienen würden verhungern, wenn man nicht zufüttert. Den Wildbienen geht es noch schlechter.» Um für mehr Blütenvielfalt zu sorgen, stellte ihm die Kirchgemeinde Land zur Verfügung. Inzwischen ist aus einfachen Anfängen ein sorgsam gestalteter Garten geworden: Sechs Kreise sind wie Blütenblätter um ein Zentrum angelegt. Jeder Kreis hat ein religiöses Thema und ist einem Tag aus der Schöpfungsgeschichte zugeordnet.

Biodiversität als aktueller Anlass

Rund vierzig Kilometer entfernt, in Romanshorn, wächst ein weiterer Bibelgarten heran. «Der Bibelgesprächskreis der evangelischen Kirchgemeinde hatte sich 2020 ein Semester lang mit dem Thema ‹Pflanzen und Tiere in der Bibel› beschäftigt», erzählt Pfarrerin Martina Brendler. «In etwa der gleichen Zeit hatte die Kirchenvorsteherschaft beschlossen, das Umweltmanagementprogramm für Kirchgemeinden ‹Grüner Güggel› einzuführen. Ein Punkt dabei ist die Biodiversität auf den Flächen rund um die Liegenschaften. Ein Bibelgarten war die logische Verbindung der beiden Themen.»

Apfelbaum im Zentrum

Ein Apfelbaum steht im Zentrum des Romanshorner Bibelgartens, umgeben von vier Themen-Beeten. Unzählige Künstler haben sich eben diese Frucht am «Baum der Erkenntnis» vorgestellt und damit das Bild geprägt. Der Spruch, der Martin Luther zugeschrieben wird, hat ebenfalls seinen Anteil: «Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.» Im «Buntä Chilä Gartä» in Sirnach jedoch war es nicht ein Reformator, der die Pflanzung des Apfelbaums anregte, sondern eine Schülerin, die sagte: «Ich sehe die Schöpfung, wenn ich auf einer Bank unter einem Apfelbaum sitze und den Himmel durch die Zweige hindurch betrachte.» «Also», so Beno Kehl, «haben wir eine Bank unter einem Baum gebaut.»


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Gleichnis veranschaulicht

«Es ist wie bei dem Senfkorn, das jemand in seinem Garten in die Erde steckte. Es ging auf und wuchs und wurde zu einem Baum, und die Vögel bauten ihre Nester in seinen Zweigen.» Dieses Gleichnis aus Lukas 13,19 ist leicht verständlich, wenn man einmal selbst Senfsaat ausgebracht hat und erlebt hat, dass die Pflanzen bis zu zwei Meter hoch werden. In Sirnach kamen die Konfirmanden in diesen Genuss: «Vergangenes Jahr haben wir eine Gründüngung mit Senf gemacht», so Beno Kehl. Senf ist ein Bodenverbesserer, der mit seinen Wurzeln auch tiefe Schichten erreicht. «Natürlich habe ich das Gleichnis dann mit den Schülerinnen und Schülern durchgenommen.»

 

 

Gegenseitig geholfen

Moderne Bibelgärten sollen Treffpunkte sein – allerdings mit klaren Regeln: In Romanshorn wie auch in Gossau ist der Bibelgarten Teil des Friedhofs, eine laute Feier verbietet sich von selbst. In Sirnach gibt es ein Betriebskonzept, das für Ruhe und Ordnung sorgt. Wichtig ist der Garten als Gemeinschaftsprojekt der Gemeinde. «Wir sind als Team zusammengewachsen », so Martina Brendler. «Schön ist aber auch, dass wir immer Helfende finden. Um unsere Steinmauern zu legen, brauchten wir jemanden mit Know-how und Körperkraft. Also haben wir Luigi Sorbaro gebeten mitanzufassen. Die Kirchgemeinde konnte ihm einmal diakonisch helfen, jetzt hat er uns geholfen.»

 

Senf kann meterhoch wachsen und lockert dank seiner tiefen Wurzeln den Boden auf. (Bild: pixabay.com)

Senf kann meterhoch wachsen und lockert dank seiner tiefen Wurzeln den Boden auf. (Bild: pixabay.com)

 

Kompromisse sind nötig

Beim Anpflanzen brauche man Geduld, sagt Diakon Kehl. «Und nicht jede Pflanze gedeiht überall. Boden, Licht und Wasser müssen stimmen.» Pfarrerin Martina Brendler hätte in Romanshorn gern einen Olivenbaum, fürchtet aber, dass er die Winter nicht gut übersteht. Der Thurgau ist eben nicht Palästina mit seinem mediterranen oder sogar Wüsten-Klima. Immerhin lässt sich ein trockenes, scheinbar ödes Areal durch ein Kiesbett symbolisieren. In Romanshorn nimmt es einen Quadranten des Bibelgartens ein. «Damit Wildbienen hier ihre Erdnester bauen kommen, füllen wir noch speziellen Sand auf», sagt Martina Brendler. Die Steinhaufen sind ein Zuhause für andere Insekten und kleine Reptilien.

Gartengeschichten in der Bibel

Jeder Garten hat mehr als eine Funktion. Neben dem Naturschutz, der Gemeinschaft und dem Unterricht kann er der Nächstenliebe dienen. Die Sirnacher ernten auf dem Areal, das dem Thema «Gemeinschaft» gewidmet ist, Gemüse für Bedürftige. In Romanshorn soll Getreide angebaut werden, aus dem man das Abendmahlsbrot backen könnte. Ausserdem ist der Garten ein Ort der inneren Einkehr. Sowohl in Sirnach als auch in der Kartause Ittingen existiert ein Labyrinth, um im Abschreiten die eigene Mitte zu finden. Thomas Bachofner, der Leiter des Tecum, bietet ausserdem jeden zweiten Mittwoch eine angeleitete Meditation zu Gartengeschichten in der Bibel an, bei gutem Wetter im Pavillon im Rosengarten. «Die Bibel ist voll von Gartengeschichten, und wir lassen die Bilder auf uns wirken, ohne uns viele gescheite Gedanken dazu machen zu müssen.»

 

Veranstaltungen im Garten

«Gott begegnen»: Exkursion nach Gossau und zum Bibelgarten, 10. Juni, 10.15 bis 15.45 Uhr.

Angeleitete Meditation zu Gartengeschichten in der Bibel: Jeweils am zweiten Mittwoch im Monat, 17.30 bis 18.30 Uhr, Kartause Ittingen (TG).

Mehr Infos auf www.tecum.ch

 

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