«Ich sammle Leben, nicht Tage»
«Ich sammle Leben, nicht Tage», sagt Michèle Bowley in einer Szene und bringt damit die Geschichte des Films «Die Tabubrecherin» auf den Punkt. Gerade in der letzten Lebensphase liege eine Qualität, sagt Bowley: Die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit sei eine Chance, zu realisieren, wo man stehe. «Wollte ich früher immer besser werden, sage ich heute einfach Ja zu mir.»
Der Film «Die Tabubrecherin» begleitet Michèle Bowley auf ihrem letzten Lebensweg. Von den ersten Tumor-Operationen in der Brust bis zu dem Moment, als der Arzt ihr die Bilder der Metastasen in ihrem Gehirn zeigt und ihr sagt, dass sie höchstens noch ein halbes Jahr zu leben habe. Und dann geschieht das Unglaubliche: Die Metastasen verschwinden. Leider hält das Wunder nicht lange an, Michèle Bowley stirbt am 30. November des vergangenen Jahres in einem Sterbehospiz in Basel.
Nahe am Geschehen
Die beiden Filmemacher Erich Langjahr und Silvia Haselbeck sind mit ihrer Kamera ganz nah dran, folgen Michèle Bowley durch Operation, Chemotherapie und Bestrahlung. Die Kamera begleitet Bowley, wenn sie sich die Haare bis auf die Kopfhaut abrasieren lässt, und ins Sprechzimmer, wo ihr die Ärzte die Hiobsbotschaften überbringen. Und die Kamera fängt die hilflosen und stummen Gesichter der Gäste an Bowleys Abschiedsfeier ein. Die Filmemacher sind dabei, wenn sie das Krematorium und den Bestatter besucht. Oder wenn sie sich zum Abschied Frank Sinatras «My Way» vorsingen lässt. Bis ins kleinste Detail hat Bowley alles geplant. Sie überlässt nichts dem Zufall, setzt ihr Testament auf, organisiert ihre Beerdigung, schreibt ihre Todesanzeige und ihre Abschiedsrede. Nur eines kann sie nicht beeinflussen: den Verlauf ihrer Krankheit.
«Die Tabubrecherin» im Kino
Vorpremiere: Kino Seehof, Zug, Montag, 21. Oktober, um 20 Uhr, in Anwesenheit der Filmemacher Silvia Haselbeck und Erich Langjahr sowie Andreas Haas, City Kirche Zug.
«Die Tabubrecherin» läuft ab 24. Oktober in den meisten Städten der Deutschschweiz.
«Die Tabubrecherin» ist eine Reise durch die Ängste, die Verzweiflungen und die Hoffnungen der Baslerin, die eigentlich leben wollte. Die Gesundheitspsychologin hatte noch so viel vor. Sie sieht sich nicht als Opfer des Krebses und schreibt ihre Erlebnisse in einer Phase auf, in der es ihr besser geht. Und, ganz Michèle Bowley, veröffentlicht diese unter dem Buchtitel «Volle Pulle leben».
Humor nicht verloren
Im Film erzählt die 56-Jährige ruhig von ihrer Situation, macht sich über ihr Aussehen lustig, setzt sich immer neue Mützen auf den kahlen Kopf oder schmückt ihn mit bunten Tüchern. Manchmal überkommt sie die Trauer, Tränen fliessen, die Aufnahmen werden unterbrochen. Mit der Zeit wird ihre Statur kleiner, dünner, sie sinkt in sich zusammen. Ihre Stimme wird leiser. Die starke Bestrahlung führt zu Demenz. Bowley scherzt über ihre «Hirn- und Harninkontinenz», die sie von nun an begleiten wird.
Dem «Tages-Anzeiger» erzählt Bowley, dass sie keine Angst vor dem Sterben habe. Im Gegenteil, sie sei zuversichtlich und neugierig, ob es so kommen werde, wie sie es sich vorstelle. «Ich habe das Bild vor Augen, dass unsere Seelen nach dem Tod Teil eines grossen Lichts werden», sagt sie. Und rät: «Lebt ein Leben, das zu euch passt! Macht, was euch entspricht und woran ihr Freude habt!»
«Ich sammle Leben, nicht Tage»