Humor bietet «eleganten Ausweg»
Sie hat seit jeher ein Herz für Randgruppen und gehört seit wenigen Jahren selber zu einer: Die Kirchenboten-Cartoonistin, die über zwei Jahrzehnte im Thurgau wohnte, hat die letzten zwei Jahren eine «Überlebens-Odyssee» durchgemacht, weil sie plötzlich unter Elektrosensibilität zu leiden begann. Die Kindergärtnerin und Kunsttherapeutin in Fachrichtung Malen und Gestalten hat in Bischofszell zehn Jahre lange ein eigenes Mal- und Kunstatelier geführt und hat sich vor Kurzem auch noch zur Beraterin für Elektrobiologie weitergebildet.
Obstplantagen statt Urwald
«Eigentlich wollte ich immer ‹in den Urwald› in die Mission», sagt sie mit ein bisschen Wehmut und dem ihr eigenen Schalk in den Augen: «Aber da bin ich vorher in den Obstbäumen der Ostschweiz hängengeblieben.» Urwald und Obstplantagen hin oder her – schon seit dem Kindergartenalter hält Sabine Bryner einen Stift in der Hand und hat «eifrig gemalt, was die Mine hergab ». Mit ihren zwei besten Kindergartenfreunden malte sie um die Wette, und manch Lehrer oder Mitschüler wurde in langweiligen Schulstunden als «Überlebenstraining » unfreiwillig karikiert. Ihre «armen Eltern » überraschte sie eines Morgens als Teenager mit einer bunt bemalten Zimmerdecke, «und meine ersten Autos blieben nicht lange einfarbig. Warum sollten Dinge öde bleiben, wenn man sie doch mit wenig Aufwand bunt gestalten kann?»
Gottesdienst rettete aus der Not
Dass sie sich ihr Hobby zum Beruf machte, war nicht immer ganz einfach. Als ihr einmal das Geld für die Krankenkassenzahlungen fehlte und sie deswegen weinend ins Gebet ging, bekam sie bald darauf einen Auftrag, um zwei Begleit-Illustrationen für eine Predigt zu malen. Nach dem Gottesdienst kam ein Besucher auf sie zu und wollte die beiden Bilder exakt für den Betrag kaufen, der ihr für die Prämien fehlte. Ein Wunder, das sie heute noch ermutigt. Im Moment träumt sie davon, ein Zentrum für Menschen mit Elektrosensibilität aufzubauen und dort auch als Kunsttherapeutin tätig zu sein.
Harmlose Maus, «heisse Eisen»
Dank ihren Ausbildungen konnte sie ihre zeichnerischen Begabungen noch stärker zur Entfaltung bringen. Dabei halfen ihr auch ihre Vorbilder von «Fix und Foxi» bis zu Loriot oder Walt Disney. Für den Kirchenboten hat sie zusammen mit der Redaktion das Sujet der Kirchenmaus Evangelica entwickelt. Sie schätze es, dass sie dank einer harmlosen Maus auch «heisse Eisen» beim Namen nennen könne. Sabine Bryner malt noch völlig traditionell: Sobald sie eine bildliche Vorstellung vor ihren Augen sieht, geht sie in sich, fragt Gott im Gebet und versucht, eine zentrale Botschaft herauszukristallisieren. Dann entstehen mit Bleistift und schwarzen Stiften die ersten Umrisse und Schattierungen: «Da wird radiert, die Perspektive, Grösse und Form nochmals verändert» – um später mit wasserlöslichen Farbstiften die leeren Flächen zu füllen, die sie dann mit einem feinen Wasserpinsel vermalt. Das Ganze betrachtet Sabine Bryner zum Schluss im Spiegel: «Ich schaue, ob alles nicht allzu schräg daherkommt. Im Spiegel sieht das Gehirn ein selbstgemaltes Bild nämlich so, als wäre es von jemand anderem gemalt worden, und kann auf diese Weise allfällige Fehler besser erkennen.»
Perspektive wechseln, Humor wählen
Es sei für sie nach der Fertigstellung interessant, ihre Bilder zu analysieren. Sie möchte natürlich aber vor allem bei den Betrachtenden etwas auslösen: Der Perspektivenwechsel der Evangelica mache es gerade Betroffenen möglich, biblische, soziale, wirtschaftliche oder politische Herausforderungen mit einem gewissen Abstand oder über «den eleganten Ausweg des Humors» zu sehen. Deshalb hole sie sich die Inspiration direkt aus dem Leben. Und dabei ist es wie im richtigen Leben: Nicht immer gelingt ihr alles auf Anhieb.
(Roman Salzmann, 28. März 2019)
Humor bietet «eleganten Ausweg»