Gott steigt durch die Hintertüre ein
Von Damian Brot
Seit ich mit meinem Umzug nach Kreuzlingen das Autofahren aufgegeben habe, bin ich viel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Da komme ich auch auf kürzeren Fahrten im Stadtbus ins Gespräch mit vielen Menschen. Ich habe mir schon überlegt, meine Seelsorgetätigkeit hauptsächlich in die öffentlichen Verkehrsmittel zu verlegen. Vielleicht brauchen wir nicht nur stationäre Bahnhof- und Flughafenseelsorger, sondern auch mitreisende Seelsorgerinnen und Seelsorger, welche die Reisenden auf ihrem Weg ans Reiseziel begleiten.
Gott verliert den Fahrersitz
Weinachten bedeutet, dass auch Gott mit uns mitreist. Gott gibt uns nicht nur einen Segen mit am Anfang der Reise und öffnet uns die Himmelstüre, wenn wir am Ziel angekommen sind. Gott sitzt neben uns auf jeder Etappe unseres Lebensweges. Natürlich ist Gott nicht nur ein einfacher Passagier, sondern auch der Platz am Steuerrad gehört ihm. So war das zumindest am Anfang der Geschichte. Immer wieder aber ist Gott aus der Führungskabine gedrängt worden und andere Mächte haben die Kontrolle über das Fahrzeug übernommen. So souverän, wie Gott bei der Schöpfung der Welt die Ereignisse unter Kontrolle hatte, scheint er heute nicht mehr handeln zu können. Die gegenwärtige Weltlage lässt auf einen Gott schliessen, dem die Zügel aus der Hand gerissen wurden. Den Holocaust konnte Gott nicht verhindern, und auch den Krieg in Syrien kann er nicht mit einem kurzen Machtwort beenden. Der göttliche Schöpfungsruf «Es werde Licht!» scheint in der Dunkelheit und im Lärm der Welt unterzugehen.
Gott kauft eine Fahrkarte
Statt sich auf einen Machtkampf einzulassen und gewaltsam den Zugang zum Cockpit wiederzugewinnen, hat Gott den gewaltlosen Weg gewählt. An Weihnachten ist er als einfacher Passagier durch die Hintertüre wieder in den Bus eingestiegen. Er hat wie jeder andere Reisende eine Fahrkarte gelöst und einen Sitz eingenommen. So versucht er, sich unter den Reisenden sanft und mit ihnen mitfühlend und mitleidend Gehör zu verschaffen. Statt auf dem direkten Weg wieder das Steuer zu übernehmen, möchte er Schritt um Schritt die Herzen der Mitreisenden gewinnen.
Langsam zurück ans Steuer
Weihnachten zeigt uns auch etwas von der Ohnmacht Gottes. Wer als Kind einer armen Familie in einem Stall auf die Welt kommt, wird in der Regel nicht als König sterben. Das war auch bei Jesus nicht der Fall. Mit Weihnachten aber hat der Versuch von Gott, durch die Hintertüre wieder in den Bus zu kommen, erst angefangen und mit der Kreuzigung von Jesus ist er nicht gescheitert. Mit jedem Herz, das Jesus öffnen kann, gewinnt er ein klein wenig von seiner ursprünglichen Schöpfungsmacht zurück. Und die Auferstehung von Jesus lässt uns wissen und vertrauen, dass Gott das Steuer der Weltgeschichte irgendwann wieder übernehmen kann.
Weihnachtliche Strategie
Auch die Kirche hat seit der Aufklärung zunehmend an Macht verloren. Die Zeit, in der kirchliche Amtsträger das gesellschaftliche Steuerrad in der Hand hatten, ist schon lange zu Ende gegangen. Auch die verbliebenen kirchlichen Machtprivilegien werden zunehmend in Frage gestellt. Wir können das bedauern und versuchen, uns so gut als möglich an die Macht zu klammern und den verbliebenen Besitzstand zu wahren. Das ist aber nicht die Strategie, die Gott mit Weihnachten gewählt hat. Wenn wir die himmlische Taktik wählen, dann lösen wir eine Fahrkarte und steigen von hinten wieder in den Bus ein. Oder wie es der abgesetzte katholische Bischof Jacques Gaillot gesagt hat: «Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.»
Gott steigt durch die Hintertüre ein