Gleiche Kirche, getrennte Schulen
Von Ernst Ritzi
Dass der Historische Verein des Kantons Thurgau den 154. Band in der Reihe Thurgauer Beiträge zur Geschichte im Oktober 2016 dem Stift Sankt Pelagius in Bischofszell zugedacht hat, hat einen guten Grund. Herausgeber Hannes Steiner war als Mitarbeiter des Thurgauer Staatsarchivs während sieben Jahren damit beschäftigt, das Archiv des Chorherrenstifts St. Pelagius, das Mitte des 19. Jahrhundert mit der Aufhebung des Stifts in den Bestand des Kantons übergegangen war, zu ordnen und zu erschliessen. Damit war die Grundlage geschaffen, dass das Material der Geschichtsforschung zugänglich gemacht werden konnte. In 16 Aufsätzen haben Historiker sich aufgrund der erschlossenen Akten unter dem Titel «Wer sanct Pelayen zue gehört…» verschiedenen Aspekten der Geschichte von Stift und Stadt Bischofszell und Umgebung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit angenommen. Die Aufsätze und die erschlossenen Akten des Stiftsarchivs warten nun noch darauf, in einer neuen Fassung der Bischofzeller Stadtgeschichte in einem umfassenden Zusammenhang verknüpft und dargestellt zu werden.
Bischof gewährte Stadtrechte
Die Aufsätze erlauben auch einen Einblick in die Zeit der Reformation, als das mittelalterliche Geflecht von Herrschaftsverhältnissen und Abhängigkeiten durch die Trennung in zwei Konfessionen eine zusätzliche Dimension erhielt. Die Bürger der Stadt Bischofszell hatten sich gegenüber ihrem Landesherrn, dem Bischof von Konstanz, gewisse Rechte erworben, schon bevor die Eidgenossen 1460 den Thurgau einnahmen und mit der Bildung der eidgenössischen Landgrafschaft Thurgau der Einfluss des Bischofs als weltlicher Herr beschränkt wurde.
Reformation auch aus Konstanz
Bischofszell gehörte – wie der ganze Thurgau – weiterhin zum Bistum Konstanz. Vor Ort war das Chorherrenstift St. Pelagius so etwas wie der verlängerte geistliche und weltliche Arm des Bischofs. Das St. Pelagius-Stift verwaltete die Besitzungen des Bischofs von Konstanz in der Stadt und in der Region. Die Reformation in Bischofszell wurde durch die Reformation in der Eidgenossenschaft, die sich – ausgehend von Zürich – auch in der von den Eidgenossen gemeinsam verwalteten Landgrafschaft Thurgau verbreitete, gefördert. Für Bischofzell und auch für andere Thurgauer Regionen kam dazu, dass die Reformation sich in der Zeit von 1527 bis 1548 auch in der Stadt Konstanz durchsetzte. Obwohl sich die Chorherren von St. Pelagius dagegen sträubten, führte der Stadtrat von Bischofszell 1529 die Reformation ein. Nach der Niederlage im 2. Kappeler Krieg von 1531 wurde das St.-Pelagius-Stift zwar in der Zeit von 1532 bis 1536 wiederhergestellt, aber die Stadt Bischofszell und die Mehrheit ihrer Bevölkerung blieb beim neuen evangelischen Glauben. Im Schiedsspruch vom 26. September 1536 wurde festgelegt, dass die Konfessionen die Kirche gemeinsam nutzen sollten. Die Einkünfte der Pfarrei sollten zwischen den Konfessionen nach Seelenzahl geteilt werden, das Stift wurde wieder dem Bischof von Konstanz unterstellt und die protestantischen Pfründeninhaber durften ihre Pfründen behalten.
Schulen konfessionell getrennt
Der Beitrag von Andre Gutmann zeigt, dass sich auch im Schulwesen so etwas wie eine Parität entwickelte: Neben der Stiftsschule, die als katholische Schule weitergeführt wurde, entstand die evangelische Stadtschule. Bis anhin ging man in der Bischofszeller Stadtgeschichte davon aus, dass die katholische Stiftsschule zwischen 1538 und 1660 verschwunden sei. Bei der Rekrutierung der Lehrer für die evangelische Stadtschule liess der Stadtrat die Beziehungen nach Zürich und Konstanz spielen. In Zürich wirkte der Bischofszeller Theodor Bibliander, in Konstanz der aus Bischofszell stammende Reformator Ambrosius Blarer. Gutmann stellt dazu fest: «Eine selbständige Rekrutierung durch den Bischofszeller Rat scheint nicht stattgefunden zu haben, es wurde nur auf Empfehlungen aus Zürich oder Konstanz reagiert.»
Luther stand in jeder Pfarrbibliothek
Der Sammelband erlaubt auch einige Einblicke in die religiöse und theologische Gedankenwelt der Reformationszeit. In seinem Aufsatz über die Bücher, die der von 1560 bis 1562 in Bischofzell als reformierter Pfarrer wirkende Jakob Rietmüller hinterlassen hat, bewegt sich Rudolf Gamper in der Gedankenwelt der reformierten Pfarrer der zweiten Generation. Sie haben ihre Ausbildung in der Zeit der Reformation erhalten und waren mit der alten (katholischen) Kirche nicht mehr vertraut. Dass die Bücher des Reformators Martin Luther in der Hinterlassenschaft von Pfarrer Rietmüller prominent vertreten waren, bezeichnet Gamper als «normal» für die Pfarrbibliotheken der Zeit. In den Notizen, die der aus Baden und dem Elsass stammende und nach Zwingli reformierte Pfarrer Rietmüller in seine Bücher einfügte, finden sich «die Grundlagen der Lehren Luthers wie das Vertrauen auf die Gnade Gottes» und die «Verachtung derjenigen, die auf die sogenannten guten Werke vertrauten, durch die nach der altgläubigen Lehre die Menschen ihre Sündenstrafen verkürzten».
Gleiche Kirche, getrennte Schulen