News aus dem Thurgau

Gibt es Wahrheit im Nahost-Konflikt?

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08.06.2018
Die Universität Basel packte ein heisses Eisen an: Den Nahost-Konflikt. In der Diskussion über Israel scheinen die Positionen unüberwindbar. «Gibt es Wahrheit im Nahost- Konflikt?», fragte der Historiker Erik Petry und rät zum Faktencheck.

«Eine emotionale Diskussion, in der alle schon alles wissen.» So beschreibt Erik Petry, stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien in Basel den Diskurs um den Nahostkonflikt. Im Rahmen der Aeneas-Silvius-Ringvorlesung an der Universität Basel zu «Wissen und Wahrheit» stellte der Historiker die heftig diskutierte Frage: «Gibt es Wahrheit im Nahostkonflikt?»

Analyse der historischen Situation
Zu Beginn legte Petry dar, dass selbst die Philosophie unterschiedliche Wahrheitsbegriffe kenne, es die «eine Wahrheit» also kaum gebe. Gemäss Leopold von Ranke, der führenden Figur der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert, komme man der Wahrheit mit der faktengetreuen Analyse der historischen Situation am nächsten. So auch im Fall des Nahostkonflikts.

«Herr Petry, ist es wahr, dass Sie der Staat Israel bezahlt? », habe ihn einmal ein Studierender gefragt, erzählt Petry. Solche Fragen erübrigten sich, wenn man den Nahostkonflikt einem «Faktencheck, ohne tendenziöse Parteinahme» unterziehe. Der Faktencheck ist für Petry das Zauberwort in der Debatte. «Fakten zu prüfen, ist in der Epoche der Fake News entscheidend.» Das Kernproblem der Diskussion ortet Petry bei den verschiedenen Wahrheiten, die für die Konfliktparteien jeweils absolut wahr seien.

Gründungsjahre Israels im Fokus
Durch die Überprüfung der Fakten der Geschichte des Nahostkonflikts könnten bedeutende Erkenntnisse für den heutigen Diskurs gewonnen werden, ist Erik Petry überzeugt. Im Fokus seines Faktenchecks stehen die Gründungsjahre Israels: Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickeln sich im britischen Mandatsgebiet die jüdische und palästinensische Gesellschaft auseinander. Die jüdische Gesellschaft erlebt eine enorme Zuwanderung und einen wirtschaftlichen Aufschwung. Obwohl die arabische Wirtschaft in Palästina im Vergleich zu den umliegenden arabischen Ländern ebenfalls prosperiere, vergleiche sie sich mit dem Wachstum der jüdischen Wirtschaft und erkenne darin ein Ungleichgewicht, sagt Petry.

Im März 1945 wird die Arabische Liga gegründet. Im Februar 1947 kündigt Grossbritannien an, das Mandat über Palästina abzugeben. Die UNO empfiehlt ebenfalls das Ende des Mandats, und die Mehrheit der abstimmenden Staaten befürwortet die Teilung in einen jüdischen und arabischen Staat. Auf dieser «intentionalen Wahrheit von zwei Staaten» beruhten die klaren Ziele der Friedenspolitik der UNO, so Petry. Dies bestimme bis heute die Agenda der Friedensgespräche.

David Ben-Gurion nutzte die Gelegenheit
Durch den UNO-Beschluss der Zweistaatenlösung tut sich nach Petry ein «Window of Opportunity» auf, das die jüdische Seite nutzt. David Ben-Gurion ruft am 14. Mai 1948 den Staat Israel aus. Die Arabische Liga sehe dies als Verbrechen gegen die arabische Welt, so Petry. Araber und Muslime fühlten sich betrogen und stellten dies bis heute als ihre Wahrheit dar.

Darüber hinaus agierten auf palästinensischer wie auf israelischer Seite weitere Interessensgruppen: Sozialdemokraten, radikale Organisationen, religiöse Zionisten oder religiöse Anti-Zionisten, die je ihre eigene Wahrheit beanspruchten.

Den Konflikt nicht instrumentalisieren
Wo lag in den entscheidenden Jahren von 1947 bis 1948 der Fehler, der eine Einigung bis heute verhindert? Aus heutiger Sicht, sagt Erik Petry, könne man darauf antworten, dass es die Arabische Liga versäumt habe, ihrerseits einen palästinensischen Staat auszurufen. «Die Konfliktparteien könnten heute vielleicht aus gleicher Position miteinander verhandeln.»

Gibt es keine Hoffnung auf Annäherung zwischen Palästinensern und Israelis? Doch, meint Erik Petry. Dazu gehöre als erster Schritt, dass der Konflikt nicht instrumentalisiert werde, sondern der Wahrheitsanspruch jeder Position anerkannt werde. Ganz im Sinne des Liedes «I’m Not Your Toy» von Netta Barzilai, der israelischen Gewinnerin des diesjährigen Eurovision Song Contest.

Noemi Schürmann, kirchenbote-online, 8. Juni 2018

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