News aus dem Thurgau
Theologiestudium und Pfarrermangel

Georg Pfleiderer: «Die Theologie eröffnet Bildungswelten wie vielleicht kein anderes Fach»

von Tilmann Zuber
min
24.04.2025
Der Kirche geht der Nachwuchs fürs Pfarramt aus. Immer weniger studieren Theologie. Die Gründe ortet der Basler Theologieprofessor Georg Pfleiderer in der gesellschaftlichen Entwicklung. Vom «Plan P», der Zulassung zum Pfarramt ohne Theologiestudium, hält er nichts.

Früher galt die Theologie als Mutter aller Wissenschaften. Heute führt sie an Universitäten ein Mauerblümchendasein. Warum?

Die öffentliche Wahrnehmung der Theologie und der theologischen Fakultäten hängt stark vom gesellschaftlichen Image der Kirchen ab. Von dem Schwund an öffentlicher Bedeutung, den die Kirchen in den letzten Jahren erlitten haben, sind sie darum mitbetroffen. Doch tatsächlich ist die wissenschaftliche Theologie in vielen Hinsichten sehr vital und erfolgreich. So hat etwa unsere Basler Theologische Fakultät viele Drittmittel- und Nationalfondsprojekte akquirieren können, oft mehr als andere universitäre Fachbereiche. Dennoch werden wir in der Öffentlichkeit und auch innerhalb der Universität oft nicht wahrgenommen. Wie Wissenschaftler anderer Fachrichtungen mit der Theologie umgehen, scheint mir weniger von unseren wissenschaftlichen Leistungen als von deren religiöser und kirchlicher Sozialisation abhängig zu sein.

Die Kirchen klagen über Pfarrermangel und entwickeln neue Modelle der Pfarrerausbildung, zuletzt etwa den «Plan P». Was halten Sie davon?

Seit gut zwanzig Jahren ist erkennbar, dass der Pfarrerbedarf der Schweizer Kirchen durch den eigenen Nachwuchs nicht mehr gedeckt werden kann. Lange Zeit wurde das durch ausländische Pfarrpersonen, insbesondere aus Deutschland, aufgefangen; aber diese Quelle ist praktisch versiegt. Seit Jahren betreiben wir darum zusammen mit den Kirchen Werbung fürs Theologiestudium; aber der Rückgang des Pfarrernachwuchses ist ein schwer zu bekämpfender Megatrend. Die bisher bei weitem erfolgreichste Massnahme ist das Studienprogramm für akademische Quereinsteiger. Den kirchlichen «Plan P» jedoch, der vorsieht, über 55-jährige Akademikerinnen und Akademiker ohne theologische Ausbildung ins Pfarramt zuzulassen, halten wir hingegen für hochproblematisch.

Warum das?

Der «Plan P» bietet nur eine ganz rudimentäre theologische Ausbildung. Es ist bedenklich, zu glauben, man könne den anspruchsvollen Pfarrberuf ohne spezifische Fachkenntnisse ausüben, wie sie ein mehrjähriges universitäres Theologiestudium und ein anschliessendes kirchliches Vikariat vermitteln. Die Kirchen sollten stattdessen alles dafür tun, um die Bedingungen des Pfarrberufs zu verbessern. Pfarrerinnen und Pfarrer sollten sich auf ihre spezifischen Fähigkeiten und Aufgaben konzentrieren können und so als Anleitende und Supervisoren für theologisch weniger qualifizierte Mitarbeitende wirken. Die Zulassung kaum ausgebildeter Personen würde ausserdem die aktuelle Pfarrerschaft und die Studierenden demotivieren.

Zur DNA der reformierten Landeskirchen gehört seit Reformation und Aufklärung ihr akademisch gut ausgebildetes Pfarrpersonal.

Es wird kritisiert, dass das Theologiestudium Fächer enthält, die im Pfarramt nicht nötig sind, etwa Latein, Hebräisch oder Griechisch.

Wir arbeiten zurzeit an einer Reform unserer Studienordnungen. Latein wird dann wohl nicht mehr verpflichtend sein. Beim Quereinsteigerstudium ist dies schon jetzt der Fall. Gewisse Grundkenntnisse in Griechisch und Hebräisch sind allerdings weiterhin nötig, um ein historisches Bewusstsein für biblische Texte entwickeln zu können. Das ist die Voraussetzung für einen sinnvollen pastoralen Umgang mit ihnen.

Deshalb ist für Sie «Plan P» keine Option.

Eine Umsetzung von «Plan P» würde das Pfarrbild negativ verändern und grosse Auswirkungen auch auf das Image der reformierten Kirchen zeitigen. Zur DNA der reformierten Landeskirchen gehört seit Reformation und Aufklärung ihr akademisch gut ausgebildetes Pfarrpersonal. Ansonsten wäre ein Unterschied zu bildungspraktisch wenig anspruchsvollen Religionsgemeinschaften, wie etwa Freikirchen, nicht mehr zu erkennen. Die Kirchen dürften dann auch ihren Auftrag als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht mehr erfüllen können.

Warum?

Religion ist ein einerseits sehr variables, mitunter auch gefährliches, andererseits traditionsreiches Feld. Um auf diesem Feld professionell agieren zu können, braucht es gut ausgebildetes Personal. Das dürfen Gesellschaft und Staat erwarten.

Jahrhundertelang war das Pfarrhaus ein Ort der Bildung. Ist das heute in Gefahr?

Wir erleben weithin einen Trend zur Entintellektualisierung der Religion. Religion wird als individuelle Gefühlssache betrachtet. Das klassische protestantische Bildungsmilieu, das man noch vor dreissig Jahren in der Schweiz antraf, ist heute stark geschrumpft. Die Kirchen sollten diesen Trend nicht noch verstärken. Damit Sie mich verstehen: Es geht nicht um verkopftes Pfarrpersonal, sondern um eine religiös geerdete, vernünftige Intellektualität, die mit unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen professionell umgehen kann.

Was braucht es für den Pfarrberuf? Herzensbildung, Glauben an die Auferstehung Christi, historische Bibelkenntnisse, psychologische Ausbildung?

Es braucht einen wissenschaftlich gebildeten, reflektierten, persönlichen Glauben und Fähigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit Menschen. Herzensbildung ist also die Basis. Ohne eigene geistliche Praxis geht es auch nicht. Und es braucht biblisches, historisches und philosophisches Wissen und die Fähigkeit, dieses rhetorisch zu vermitteln. Also es braucht alles: reflektierten Glauben, Herzensbildung und kommunikative Praxis.

Die Gesellschaft hat sich verändert. Die Wirtschaft stellt heute andere Anforderungen, braucht es auch andere Theologiestudierende?

Die heutigen Studierenden bringen sicher andere Voraussetzungen mit als jene meiner Generation. Sie kommen oft aus anderen Milieus und haben wenig familiäre religiöse und kirchliche Sozialisation. Andere wiederum sind freikirchlich sozialisiert. Das Theologiestudium dient dazu, die Stärken und Schwächen der jeweiligen Vorbildung auszugleichen und eine reflektierte, individuelle Frömmigkeit zu entwickeln.

Viele junge Menschen kommen gar nicht mehr auf die Idee, gesellschaftliche Sinn- und Zukunftsfragen mit Glaube und Theologie zu verbinden.

Was ist der Unterschied zwischen Ihrer Generation und den heutigen Studierenden?

Der Unterschied ist gross. 1980 war Theologie ein Modestudium. Die Fakultäten in meinem Herkunftsland Deutschland waren riesig. In Heidelberg, Göttingen, Marburg oder Tübingen gab es jeweils 1500 bis 2000 Theologiestudierende. Die Kirchen hatten eine starke Stellung in der Gesellschaft und waren politisch engagiert. Das war gesellschaftlich willkommen, denn im Kalten Krieg waren politische Fragen selber hintergründig religiös und weltanschaulich aufgeladen. Sichtbar wurde das etwa in der Friedensbewegung.

Das ist heute so nicht mehr der Fall; die öffentliche Bedeutung der Kirchen ist stark geschwächt. Vielen jungen Menschen fehlt der lebensweltliche Bezug zu Kirche und Theologie. Sie kommen gar nicht mehr auf die Idee, gesellschaftliche Sinn- und Zukunftsfragen mit Glaube und Theologie zu verbinden. Dabei würde sich das nach wie vor lohnen!

Verändert hat sich auch das Verhältnis der Geschlechter. Heute studieren mehr Frauen als Männer Theologie.

Ja, das verändert das Studium und die Fakultäten; inzwischen gibt es auch viel mehr Theologieprofessorinnen. Mit der männlichen Pastoren- und Professorenherrlichkeit ist es vorbei. Das ist ja auch gut so. Frauen prägen die Kirche stärker, ihre Erfahrungswelt kommt im Studium und in der Kirche viel stärker zum Tragen. Darum bekommen manche Männer allerdings wiederum Schwierigkeiten, ihren Platz in der Kirche zu finden. Verschiedene Kirchgemeinden gründen deshalb Männergruppen, um dem entgegenzuwirken.

Was könnte die Kirche tun, um den Pfarrernachwuchs zu fördern?

Die reformierten Kirchen in der Schweiz tun in Zusammenarbeit mit den theologischen Fakultäten inzwischen schon einiges. Wichtig ist, den Pfarrberuf attraktiver zu machen. Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer nur noch unter Dauerstress stehen und sich nicht mehr mit ihrem Beruf identifizieren können, ist das schädlich. Dann können und wollen sie den Jugendlichen nicht vermitteln, dass Theologie und Pfarramt etwas Spannendes, Interessantes und durchaus Modernes sind. Und wenn die Kirche dann noch die Zulassungsbedingungen zum Pfarrberuf so tief ansetzt, dass es für bestimmte Gruppen keine spezifischen Voraussetzungen mehr gibt, verscherbeln sie ihr Tafelsilber. Aufgabe der Kirche ist es, den Pfarrberuf attraktiver zu machen.

Ein Vorwurf an die theologischen Fakultäten lautet, dass sie im Elfenbeinturm leben.

Es gibt in der Tat einen gewissen Trend zum Auseinanderlaufen von wissenschaftlicher Theologie und Kirche beziehungsweise Pfarrerschaft. Dem gilt es, durch geeignete Massnahmen entgegenzuwirken. Im Weiterbildungsbereich arbeiten Kirchen und Fakultäten gut zusammen. Darüber hinaus bieten wir etwa Ringvorlesungen für eine interessierte Öffentlichkeit an, die oft gut besucht werden. Die Theologie ist vielleicht heute so offen für die Gesellschaft und andere Disziplinen wie noch nie. Nur nimmt dies die Öffentlichkeit nicht wahr. In den Medien und im gesellschaftlichen Diskurs sind wir oft zu wenig präsent, daran müssen wir arbeiten.

Wie wird das Theologiestudium in Zukunft aussehen?

Ich hoffe, es bleibt ein modernes wissenschaftliches Universitätsstudium, das für den Pfarrdienst verpflichtend ist. Das Studium muss individualisierter werden, um auf unterschiedliche Bildungshintergründe einzugehen. Wir werden es stärker personalisieren, aber solide wissenschaftliche Standards müssten garantiert bleiben.

Zum Schluss: Warum lohnt es sich heute noch, Theologie zu studieren?

Es ist nach wie vor ein hochinteressantes Studium. Die Theologie eröffnet Bildungswelten wie vielleicht kein anderes Fach. Letzthin habe ich den Maturandinnen am Schnuppertag erzählt, dass es für mich eigentlich keinen Tag gibt, an dem ich meinen Beruf als Theologieprofessor nicht gerne ausübe. Ich bin überzeugt: Auch der Pfarrberuf ist, wenn die Kirchen ihn pflegen, nach wie vor einer der schönsten Berufe, die es gibt. Man kann auf vielfältige Weise kreativ sein, Menschen zuhören und Menschen hören einem zu; man kann mit ihnen über Sinnfragen diskutieren, sie auf dem Lebensweg begleiten und das Gemeindeleben gestalten. Auch wenn die Zeiten und die Bedingungen schwieriger werden: Ich kann diesen Beruf nur empfehlen.

 

Theologie als «kirchliche Wissenschaft»

Jubiläums-Symposium am 22. Mai, 13.45 bis 21 Uhr: Zehn Jahre Karl Barth-Zentrum für reformierte Theologie der Universität Basel.

Dr. Harald Matern: Die Kirche als Ort der Theologie. Barths Auseinandersetzung mit Erik Peterson (1925); Dr. Michael Pfenninger: Karl Barths Diskussion mit Studenten über das Theologiestudium; Dr. Frederike van Oorschot: «Was heisst: ‹Theologie ist eine Funktion der Kirche›?»

Weitere Vorträge mit: Dr. Luzius Müller, Pfr. Daniel Baumgartner, Pfr. Simon Keller, Pfrin. Regine Kokontis; Moderation: Dr. Anne Louise Nielsen, Alexander Tontsch.

Podiumsdiskussion: Wie «kirchlich» soll die wissenschaftliche Theologie (künftig) sein? Mit Prof. Moisés Mayordomo, Prof. Andrea Bieler, Pfrin. Regine Kokontis, Pfrin. Juliane Hartmann; Moderation: Prof. Georg Pfleiderer.

Theologische Fakultät, Nadelberg 10, Basel. Die Veranstaltung ist öffentlich. Bitte Anmeldung bis 2. Mai an: barthzentrum-theol@unibas.ch

Download Flyer

Unsere Empfehlungen

Fehlender Nachwuchs im Pfarramt: Kommt jetzt «Plan P»?

Fehlender Nachwuchs im Pfarramt: Kommt jetzt «Plan P»?

Um den Pfarrnachwuchs steht es schlecht. Die reformierte Kirche rechnet damit, nicht mehr alle Pfarrstellen besetzen zu können. Ein Notfallplan soll Abhilfe schaffen: Ein dreimonatiger Kurs soll den Zugang zum Pfarramt ermöglichen. Der «Plan P» gibt Anlass zur Diskussion.
Judas, was hat dich dazu bewogen?

Judas, was hat dich dazu bewogen?

Ohne Judas gäbe es kein Kreuz, keine Auferstehung Christi und keine christliche Botschaft vom Sieg über den Tod. Doch bis heute gilt Judas Iskariot als der Erzvater des Verrats. Was hat den Jünger zu dieser Tat getrieben?
«Dummheit ist gefährlicher als Bosheit»

«Dummheit ist gefährlicher als Bosheit»

Dietrich Bonhoeffer – Vorbild und «moderner Märtyrer»: Der deutsche Theologe wurde kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges am 9. April 1945 von den Nazis hingerichtet. Pfarrer Frank Sachweh spricht über den Gedenkort für Bonhoeffer, über Gewissen, Widerstand und die Verantwortung der Kirche.