Fruchtbares Miteinander von Dialekt und Hochdeutsch
Von Brunhilde Bergmann
Für ihre Dissertation «Zwischen Standarddeutsch und Dialekt. Untersuchung zu Sprachgebrauch und Spracheinstellungen von Pfarrpersonen in der Deutschschweiz» wurde Susanne Oberholzer letzten November von der Universität Zürich die Doktorurkunde überreicht. Die aus Felben-Wellhausen stammende Linguistin lebt und arbeitet seit Januar 2015 in München. Sie konnte für ihre wissenschaftliche Untersuchung, die sich über rund fünfeinhalb Jahre erstreckte, auf die Angaben von fast 700 Pfarrerinnen und Pfarrern der katholischen und evangelischen Landeskirchen in der Deutschschweiz zurückgreifen. Die Sprachforscherin hat Tonaufnahmen in Gottesdiensten, Interviews mit Pfarrpersonen und in fünf Kantonen eine Onlinefragebogenaktion durchgeführt. Der grosse Rücklauf von über 60 Prozent zeigt, dass ihr Forschungsthema auf breites Interesse stösst.
Bereits im Studium hat sich die Thurgauerin mit Schweizer Hochdeutsch beschäftigt. Für die Doktorarbeit entschied sie sich, einen jener Bereiche zu untersuchen, in denen neben Dialekt auch Hochdeutsch gesprochen wird: die Kirche. Die Sprachformenfrage ist hier aus verschiedener Hinsicht interessant: Pfarrpersonen mussten in ihrem Studium Bibeltexte fast ausschliesslich auf Hochdeutsch auslegen, wie gehen sie mit Dialekt und Standarddeutsch im Berufsalltag um? Welche Rolle spielen zum Beispiel Dialektbibeln? Welchen Einfluss hat die Gemeindezusammensetzung auf die Sprachwahl? Setzen Pfarrpersonen die beiden Sprachformen bewusst in Gottesdienst ein, um Nähe – oder auch Distanz – zu schaffen?
Die Resultate der Studie zeigen: Dialekt und Hochdeutsch werden beide im Gottesdienst verwendet, beide Sprachformen spielen eine wichtige Rolle, werden aber in der Tendenz unterschiedlich eingesetzt: Hochdeutsch dort, wo übernommener Text, vor allem aus der Bibel, dominiert, Dialekt eher, wenn die Pfarrpersonen den gesprochenen Text frei formulieren. Wechsel von Dialekt zu Hochdeutsch und umgekehrt lassen sich in der Regel einordnen: beispielsweise wenden Pfarrpersonen sogenannte Code-Switchings bewusst an, um Zitate zu markieren.
Die Resultate zu den Spracheinstellungen haben Susanne Oberholzer wenig überrascht: Die Pfarrpersonen bilden keine homogene Gruppe, sie beurteilen Dialekt und Hochdeutsch unterschiedlich. Was aber auffällt: Nur wenige schätzen Hochdeutsch als Fremdsprache ein, beziehungsweise relativieren diese Äusserung in den Interviews durch sehr differenzierte Einstellungen. Es zeigt sich, dass die Beurteilung von Hochdeutsch auch stark von der persönlichen Sprachbiographie abhängt.
Fruchtbares Miteinander von Dialekt und Hochdeutsch