Friedensaktivistin, Feministin, Kämpferin
«Über das Leben von Clara Ragaz könnte man Heldinnengeschichten schreiben», sagt Geneva Moser, Redaktionsleiterin der Zeitschrift «Neue Wege». Trotz zweier Weltkriege kämpfte Ragaz unermüdlich für eine friedlichere Welt und für die Gleichberechtigung der Frauen. Und dies in einer Zeit, in der das Frauenstimmrecht in der Schweiz noch Jahrzehnte entfernt war.
Anlässlich des 150. Geburtstags von Clara Ragaz finden zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen statt, an denen Geneva Moser und Lea Burger beteiligt sind. Wann immer sie auf den Namen Ragaz gestossen sei, sei nur von Claras Mann die Rede gewesen, erzählt SRF-Redaktorin Lea Burger. Leonhard Ragaz war neben Karl Barth einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Burger wollte mehr wissen über die Frau an der Seite des Theologieprofessors. Und entdeckte eine Persönlichkeit, die im sozialen und politischen Bereich viel bewegt hat.
Bauernsohn und Bürgertochter
Clara und Leonhard Ragaz hätten unterschiedlicher nicht sein können, sagt Moser. Er stammt aus einer Bauernfamilie in Tamins, sie aus einer gut situierten Bürgerfamilie in Chur. Ihr Vater ist Gerichtsschreiber. Sie ist eine rationale Frau, er ein Gefühlsmensch. Nach Abschluss des Lehrerseminars in Aarau arbeitet Clara Nadig als Hauslehrerin in England und Frankreich, bevor sie nach Chur zurückkehrt. Als Sonntagsschullehrerin lernt sie den Churer Pfarrer Leonhard Ragaz kennen. Er verliebt sich Hals über Kopf in sie.
Doch es dauert sieben Jahre, bis Clara Nadig seinem Werben nachgibt. Clara zögert lange, weil sie fürchtet, nicht genügend Energie für Leonards ungestümen Kampf aufbringen zu können. 1901 heiraten die beiden. Im Ehering steht der Spruch «Nach dem Dunkel das helle Licht», der auf Claras Namen anspielt.
Clara und Leonhard Ragaz verbindet die Kritik an der Gesellschaft und an der bürgerlichen Kirche. In ihrem religiösen Sozialismus soll das Reich Gottes im Hier und Jetzt verwirklicht werden. Und dazu brauche es die Mitarbeit von kritischen Geistern wie den Ragazs, sagt Geneva Moser. Das waren keine idealistischen Fantastereien, sondern beide waren geprägt von einem tiefen Glauben an das Reich Gottes. Die Botschaft des Evangeliums sollte sich in den politischen Verhältnissen konkretisieren.
Kirche muss das Elend der Arbeiterschaft sehen
Das Elend des Proletariats, das Clara Ragaz in England sah, berührte sie zutiefst. Als sie ihrem Mann, der Pfarrer am Basler Münster wurde, in die Rheinstadt folgt, gründet Clara Ragaz 1902 mit anderen Frauen den Schweizerischen Bund abstinenter Frauen und nimmt Einsitz im Vorstand des «Sozialen Einkaufsbundes», der sich für sozialere Arbeitsbedingungen einsetzt.
1909 organisiert sie eine Ausstellung über Heimarbeit, welche die prekären Verhältnisse von Frauen im Baselbiet aufzeigt. 1913 tritt Clara Ragaz der Sozialdemokratischen Partei bei, ihr Mann folgt zwei Jahre später. 1908 zieht das Paar von Basel nach Zürich, wo Leonhard Ragaz eine Professur an der Theologischen Fakultät antritt. Später gibt er die Stelle wieder auf und die Ragaz zügeln an die Gartenhofstrasse 7, mitten im Zürcher Arbeiterviertel. Sie wollen nicht mehr für eine verbürgerlichte Kirche arbeiten, sondern sich in den Dienst der Menschen stellen.
Friedensbewegung der Frauen
Der Gartenhof wird zur Volkshochschule und zum Zentrum der Friedensbewegung. Während des Zweiten Weltkriegs finden hier Emigranten aus Deutschland Zuflucht. Clara Ragaz bleibt während des Ersten Weltkriegs überzeugte Pazifistin. 1915 gründet sie mit anderen Frauen aus aller Welt den Vorläufer der «Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit» IFF. Die Brutalität des Nationalsozialismus lässt Ragaz Jahre später «schweren Herzens», so Moser, ihre pazifistische Haltung aufgeben.
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs stirbt Leonhard Ragaz. Clara Ragaz bleibt kämpferisch und engagiert sich weiterhin in der IFF und gegen die atomare Aufrüstung im Kalten Krieg. 1957 stirbt Clara Ragaz und erlebt leider nicht mehr, wie vieles, wofür sie gekämpft hat, Realität wird: die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags 1968 oder die Einführung des Frauenstimmrechts 1971.
150 Jahre Clara Ragaz
Clara-Ragaz-Festival mit Podiumsgespräch, Workshops, Ausstellung, Konzert und Party. 4.–6. Oktober, Offene Kirche St. Jakob, Zürich, neuewege.ch
Friedenskonferenz 2024 zu Ehren des 150. Geburtstags von Clara -Ragaz-Nadig. Samstag, 25. Mai, 14–18.30 Uhr, Glockenhof Zürich, wilpfschweiz.ch
Friedensaktivistin, Feministin, Kämpferin