News aus dem Thurgau

Fragen über Fragen, aber Josef schöpft Hoffnung

von Marilene Hess
min
06.12.2024
Der etwas andere Blick auf die Weihnachtsgeschichte, der ermutigt, in scheinbar ausweglosen Situationen Hoffnung zu schöpfen.

Nicht, dass mich die plötzliche Geburt überrascht hätte. Das war noch kein Wunder, die neun Monate waren vorbei. Dazu kam die Anstrengung der letzten Tage. Seit wann hätten die Leute Rücksicht genommen auf Bedürftige, Wehrlose? Hinauskomplimentiert wurde ich, nicht böse, eher resigniert. Wir können nicht weg jetzt, Herr Hauptmann, jeden Tag kann das Kind zur Welt kommen. In solchem Zustand kann ich meiner Frau die beschwerliche Reise nicht zumuten. Aber der hatte nur mit den Schultern gezuckt: was kann ich denn dafür? Wir tun nur unsre Pflicht. Nicht gehässig, sondern eher: He, Zimmermann, was bildest du dir ein, wer wir sind, du und ich? So ging ich heimzu, noch die spöttische Bemerkung des Beamten im Ohr: Das hättest du dir vor neun Monaten überlegen müssen.

 

***

 

Das hat mich sehr verletzt: Wenn der wüsste! Und nochmals ein schmerzlicher Stich, als mir der Engel in den Sinn kam, der mir im Traum erschienen war und die unglaubliche Geschichte erzählte: Sie bekommt ein Kind, aber nicht von dir. – Ein Kind von einem andern also? – Ja, von einem andern, aber nicht so, wie du meinst. Nicht von einem Mann, Josef. – Das soll ich verstehen? Ich bin ein Zimmermann, ich kann nicht einmal lesen, aber das ist kein Grund, mich zu verspotten. Und ich quälte mich und dachte: Das ist alles ein schlechter Traum. Aber der Engel war noch nicht fertig: Die Menschen werden Immanuel zu ihm sagen. Verstehst du jetzt? Immanuel – Gott mit uns. – Doch ich verstand gar nichts. Ich tat einfach, wie der Engel mir geheissen hatte, nahm Maria zu mir. Freilich dachte ich bei mir, was sie wohl für eine sei. Und doch vertraute ich schliesslich auf den Spruch des Engels: Gott sieht meine Zweifel, er versteht auch das, was ich nicht verstehen kann.

 

***

 

Lange stand ich also in Gedanken versunken vor dem verlotterten Stalltor. Von den Bergen pfiff ein unfreundlicher Wind, der zwar meinen aufgebrachten Kopf kühlte. Meine verzweifelte Erregung und meine zittrigen Hände beruhigten sich aber nicht. Immer wieder dachte ich, irgendwann müsste sich doch da drinnen in diesem erbärmlichen Stall doch noch das grosse Wunder ereignen, das uns verheissen war. Ein Wunder, welches diesen verlumpten Stall verwandle. In eine angemessene Wohnung für den verheissenen Immanuel etwa. Wo bist du, Engel? Wo ist dein Versprechen? Aber kein Engel weit und breit, nur der eiskalte Wind, welcher kalkigen Staub aus den Bergen herwirbelte, Schafsgeruch von den Herden und Hundegebell.

 

***

 

Ich bin doch nur ein einfacher Mensch, Engel, was habe ich denn falsch gemacht? flüsterte ich verzweifelt in den Wind. Ich schäme mich, Engel. Nicht einmal eine harte Holzbank in einer billigen Absteige konnte ich auftreiben für Maria. Kein Tropfen heisses Wasser – weisst du überhaupt, was das bedeutet? Nein, Engel, davon hast du keine Ahnung. Verbittert schlug ich mit dem Fuss ans Gatter. Nichts als ein paar brüchige Bretterwände, eine Laterne mit einem Kerzenstummel, ein Ochs und ein Esel für deinen «Immanuel». Ich spürte nicht einmal mehr meine Tränen übers Gesicht rinnen. Nicht die bissige Kälte. Einfach nur noch grenzenlose Angst und Verlassenheit, von Gott, dem Engel und der ganzen Welt. Was hatte das alles für einen Sinn? Hatte ich mein Vertrauen, meine Hoffnung aufs Spiel gesetzt für etwas oder jemanden, der solches gar nicht verdient?

 

***

 

Da – auf einmal – aufgeregte Stimmen. Stimmen von Frauen, Männern, Kindern, von denen eines rief: Dort drüben, in jener Hütte muss es sein. Ich sehe Licht! Da – überwallte mich ein tiefes Gefühl von Wärme. Und liess mich neue Hoffnung schöpfen.

 

Zur Autorin

Die Geschichte ist nacherzählt von Marilene Hess. Sie ist als selbsternannte «Störpfarrerin» bei Bedarf in verschiedenen Thurgauer Kirchgemeinden tätig (Porträt von Marilene Hess). Die ursprüngliche Erzählung stammt von Kurtmartin Magiera.

 

 

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