News aus dem Thurgau

Fragen, nicht unbedingt Antworten

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20.12.2022
Krieg in der Ukraine – was er bedeutet, wissen nur wenige aus eigener Erfahrung. Was bewegt, sind Bilder von Menschen in den Gebieten der Zerstörung und auf der Flucht. Zurück bleiben oft Ohnmacht, Unsicherheit und auch die Ahnung nicht ausreichender Kenntnis.

400 Mal war Andreas Hess seit 1967 in Ungarn. Seit 1991 besucht der langjährige HEKS-Beauftragte für Kirche und Diakonie in Osteuropa regelmässig die Ukraine. So auch jetzt vor Weihnachten. Die persönlichen Beziehungen seien sehr wichtig gewesen, als der Krieg ausbrach. «Schon Stunden nach Kriegsausbruch standen die ersten Kontakte. Die ersten Hilfstransporte der ‹Protestantischen Solidarität Schaffhausen› sind Stunden später aufgebrochen», berichtet Andreas Hess.

Wichtig sei gewesen, dass es schon Partner in der Westukraine und in Ostungarn gab, wohin viele Menschen flohen. So musste nicht mühsam unter erschwerten Bedingungen ein Kontaktnetz aufgebaut werden.

Unterstützung bieten
Kontakt bestand auch zu Béla Nagy, dem Leiter des Diakoniezentrums in Beregszász/Beregovo. Mehl habe es noch, so schrieb dieser, aber sie könnten die Energiekosten nicht mehr begleichen. Mit der Zusage der Unterstützung aus der Schweiz konnte die Brotproduktion fortgeführt werden. «Wir wollen keine eigenen Hilfsstrukturen aufbauen, sondern denen, die helfen, unter die Arme greifen», so Hess.

Hilfstransporte passieren die Grenze nicht problemlos. Oft werden Lieferungen an das ukrainische Militär umgeleitet. «Mit einem Menschen in diplomatischem Dienst unterwegs zu sein, erleichtert die Aufgabe», sagt Andreas Hess im Hinblick auf seine bevorstehende Reise. Zurzeit brauche es vor allem Aggregate zur Wärmeproduktion. «Wir werden einige davon refinanzieren », erklärt er. «10’000 Franken haben eine grosse Kaufkraft. Ein Rentner erhält ca. 150 Franken monatlich.»

Nicht alle erfasst
Politisch sieht Andreas Hess die Ukraine auf dem Weg zu einem Nationalstaat. «Putin ist der stärkste Geburtshelfer der ukrainischen Nation.» Alle aber würden von dieser Bewegung nicht erfasst: «Viele Menschen ungarischer, polnischer, litauischer und russischer ethnischer Herkunft haben das Land bereits verlassen. Und das wird offensiv betrieben.» Die Menschen hätten das Bedürfnis, zu erzählen. «Wenn Existenzverlust und Angst um Angehörige das Gesicht des Gegenübers trägt, ist das erschütternd.»

Vielerorts gäbe es Plakatwände mit Nachrichten über die Gefallenen, so auch in Beregovo. «Auch Menschen aus der ungarischsprachigen reformierten Kirchgemeinde sind unter den Opfern.» Hilfreich sei, nicht zu richten, sondern sorgfältig die Gesichtspunkte abzuwägen und im Gespräch zu bleiben. «Dass wir einem anderen Standpunkt zumindest ein Gastrecht gewähren, ist das Allerwichtigste», sagt Hess überzeugt. Und die Geschichte der Region wahrzunehmen, gehöre zum Verstehen der Gegenwart unbedingt dazu.

Verständnis fördern
Solchen Diskurs und breiteres Verständnis zu fördern, sei auch das Ziel des Vortragsabends im Januar. «Ich möchte Denkprozesse anstossen. Wir begegnen in der kirchlichen Gemeinschaft dieser Situation, die uns fordert und überfordert. Sie lehrt uns Demut und nicht zu urteilen, sondern miteinander die richtigen Fragen zu stellen.» Auch unsere eigene Haltung könne etwas bewirken. Wie wir denken, habe Auswirkungen auf das Geschehen – bis hin zur Fürbitte. «Das kann die Welt verändern. Das können und haben wir zu leisten.»

Vortrag von Andreas Hess über den Krieg in der Ukraine am Freitag, 20. Januar 2023, 19.30 Uhr, Evang. Kirchgemeindehaus Frauenfeld (in der Print-Ausgabe wurde irrtümlicherweise der 10. Januar genannt)

 

(Karin Kaspers Elekes)

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