«Es war ein Erlebnis der Superlative»
Herr Spieth, wie haben Sie den Bodenseekirchentag erlebt?
Das war ein super Erlebnis, das war eine Befreiung, ein Erlebnis der Superlative im Sinne einer ausbalancierten Frömmigkeit von den Anfängen der Kirchenväter bis zu ganz modernen Formen von orthodoxen Chören und zeitgenössischer, locker aufgemachter Musik. Und schliesslich trat Pater Anselm Grün mit seinen weisheitsgesättigten Statements auf, die vollends aus dem Leben gegriffen waren. Ein bisschen Politik war am ersten Tag auch dabei, aber die empfand ich als sehr gemässigt und eher so ein bisschen im Konsens. Da waren drei katholische junge Damen, die sehr für das Frauenpriestertum geworben haben. Das war etwas Lobbyarbeit, die ich mit einem Schmunzeln und einer gewissen Sympathie wahrgenommen habe.
Was war Ihr persönliches Highlight am Kirchentag?
Der Taizé-Abend im Münster und vorher noch das Konzert mit Liedermacher Clemens Bittlinger und Pater Anselm Grün. Das war der Block, der den Abend zum Höhepunkt machte, wo man einesteils diese modernen musikalischen Formen hatte und dann aber auch diese tiefsinnigen Glaubensinformationen, wo man sich persönlich existenziell berührt gefühlt hat, und das alles in einer grossen Horizonterweiterung, die einem Mut macht, als Christ in einer modernen Welt zu leben. An den Traditionen festhalten und versuchen, sie in die moderne Welt zu transformieren: Das war die Botschaft von Pater Anselm Grün zusammen mit Clemens Bittlinger. Und dann hat die «Nacht der Lichter» das Ganze abgerundet, fein wie ein Sahnehäubchen. Junge Leute, Schülerinnen und Schüler von 12, 14 Jahren haben mit einem wunderbar glasklaren, glockenreinen Klang Taizé-Lieder gesungen. Ich habe noch selten einen Taizé-Abend erlebt, der auch professionell so gut vorbereitet war. Da hat sich das Tor zum Himmel geöffnet. Die Weltanliegen und ihre Tragik wurden in die Fürbitten miteinbezogen, aber eindeutig von der Schönheit des Glaubens überblendet.
Was nehmen Sie vom Kirchentag in Ihren persönlichen Arbeitsalltag mit?
Vor allem die Art und Weise, wie Pater Anselm frei predigt, wie er kurze, knappe Statements macht. Das ist wie eine Art Diavortrag in Worte umgesetzt. Wie er es schafft, ein Bild zu präsentieren und relativ wenig Zeit damit verbringt, ein paar knallige Sätze zu sagen und dann das nächst Bild bringt. Das ergibt einen eindrücklichen Abwechslungseffekt, den ich mir merken will. Ich denke, das kann ich gut umsetzen in meinen Predigten. Und ich möchte natürlich auch diese internationale Stimmung in meine Gemeinde mit hineinnehmen. Das Bewusstsein, dass der Glaube grösser ist als unsere mittelgrosse Gemeinde in unserem Städtli in Diessenhofen, das wir ja sehr schätzen und lieben, aber die Welt ist weiter und zu Gast in Diessenhofen. Von Schaffhausen her nehmen wir die Welt mit hinein ins Städtli und wollen versuchen, im westlichen Thurgau dieses Bewusstsein zu pflegen.
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(Interview: Adriana Di Cesare)
«Es war ein Erlebnis der Superlative»