Erkennen, was keiner erkennt
Die Zeit in Südostasien hat ihn geprägt. Timo Garthe lebte dort viele Jahre mit seiner Familie. «Ich habe immer wieder über den Bilderreichtum gestaunt, mit dem die ansässigen Christen ihren Glauben bezeugen.» Irgendwann sei ihm klargeworden, dass auch Jesus nie abstrakte Vorträge gehalten habe, obwohl er es sicher gekonnt hätte. «Menschen leben mit Bildern. Und weil ein Bild mehr fasst als tausend Worte, sprach auch Jesus in Bildern: Gleichnisse als Bilderbuch Gottes», sagt Garthe und fügt – wie zum Beweis – direkt ein Gleichnis an: «Was wir rational erklären, müssen wir ‹auf die Reihe bringen›, so wie die Wäsche auf die Leine. Was wir in ein Bild fassen, das erleben wir genauso gleichzeitig wie unsere Wäsche, die wir am Leibe tragen. Womöglich ist ein einfaches Bild fürs Reich Gottes am Ende viel gebildeter als viele Erklärungen.»
«Liebevoller Humor öffnet Türen»
In Indonesien kam Garthe, der heute als Pfarrer in der Evangelischen Kirchgemeinde Lengwil wirkt, auf die Idee, Cartoons für den Gottesdienst zu zeichnen. Jemand habe ihm da erklärt, dass eine Predigt nicht ernst zu nehmen sei, bei der man nicht mindestens einmal so richtig lachen könne. «Da dachte ich mir: Also, falls das auch für Bilder gilt, warum dann nicht gleich Cartoons? Und es stimmt tatsächlich: Liebevoller Humor öffnet Türen, wo Aufforderungen und Mahnungen versagen. Die Menschen schmunzeln und spüren oft erst viel später, dass es um sie ging.» Zeichnen sei für ihn eine Gabe wie andere auch: Die wichtigste Frage sei dabei, ob man sie einsetze, um Menschen zu verletzen oder als Instrument für das Reich Gottes.
Praktisch alles dient als «Futter»
Er staune immer wieder über all die Cartoonmotive, die der Alltag biete, betont Timo Garthe. Meist überrasche ihn auf den zweiten Blick, was ihm auf den ersten noch völlig normal erscheine. «Das ist vielleicht auch die eigentliche Kunst», mutmasst Garthe. «Sehen, was jeder sieht – aber erkennen, was keiner erkennt.» Deshalb könne ihm als «Futter» für gute Cartoons eigentlich alles dienen: Begegnungen, Erlebnisse, Alltagssituationen oder Nachrichten aus der Gesellschaft. «Manches Bild springt mich geradezu an. Entscheidend ist die Idee – und leider auch die oftmals knapp bemessene Zeit.»
Mehr als Stift und Papier
Als Gemeindepfarrer bleibe ihm oft nicht viel Zeit zum Zeichnen. Aber eines spüre er immer deutlicher: «Hier geht es um eine Lebenshaltung, zu der nicht nur Stift und Papier gehören – mit wachen Augen hinzuschauen und Gottes roten Faden im verworrenen Flickenteppich menschlicher Lebensgeschichten zu entdecken. » Manchmal bete er einfach nur für offene Augen. Zu sehen und zu entdecken, wie Gott uns selbst sehe – jeden und jede einzigartig und geliebt. Und dann frage er sich je länger je mehr: «Wenn ich selbst schon beim Zeichnen der Leute so viel Kreatives entdecke, wie liebevoll, kreativ und humorvoll mag wohl das Bild erst sein, das Gott selbst sich von uns macht?»
(Cyrill Rüegger, 25. Februar 2019)
Erkennen, was keiner erkennt