News aus dem Thurgau

Eine grosse Geschichte – klein erzählt

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16.12.2022
Krippen gehören zu Weihnachten wie das Amen zur Kirche. Seit 800 Jahren erzählen sie davon, dass der Sohn Gottes ausgerechnet in einem zerfallenen Stall zur Welt kam. Das regt an und auf – bis heute.

Mal sind sie aus Papier, Pappmaché und Holz, mal aus Stein oder Plastik. Die einen sind kitschig, andere schlicht. Die grösstesteht in Alicante mit einer Josef-Figur von 18,5 Metern. Andere sind so winzig, dass sie der Franzose Yves Géraud auf einem Fingerhut platziert: Weihnachtskrippen. Im Advent beginnt ihre hohe Zeit. In den Kirchen üben die Kleinen den Text für das Weihnachtsspiel. In Basel und anderen Städten entstehen Krippenwege. Das Landesmuseum in Zürich stellt seit Jahren in der Adventszeit Krippen aus, jedes Mal unter einem besonderen Aspekt. «Dies mit Erfolg», erklärt Alexander Rechsteiner. Der Pressesprecher führt das anhaltende Interesse auf die Adventsstimmung, die Erinnerung an die Kindheit sowie die Krippen zurück, in denen es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.

Vater der Krippe: Franz von Assisi
Als «Vater der Krippe» gilt Franz von Assisi. Der Heilige wollte die Geburt Christi realistisch darstellen, denn die Bevölkerung konnte nicht die Bibel lesen. Im Dezember 1223 errichtete er in einer Höhle in einem Wald eine Futterkrippe, an der ein lebendiger Ochse und Esel standen. Später zogen die Krippen in die Kirchen. Eine der ältesten steht in der Sixtinischen Kapelle der Kirche von Santa Maria Maggiore in Rom. 1291 meisselt sie Arnolfo di Cambio aus Alabaster. In der Gotik tauchen hölzerne Szenen rund um die Geburt Christi in den Schnitzaltären auf. 

Wer glaubt, die Darstellungen entsprechen den Erzählungen im Lukas- oder im Matthäusevangelium, der irrt. Ochs und Esel werden hier nicht erwähnt, Lukas schreibt lediglich von der Futterkrippe. Dies bewog den Gelehrten Origenes (gest. 254) dazu, einen Jesaja-Spruch (Jes. 1, 3), in dem der Esel und der Ochs vorkommen, auf Jesu Geburt zu beziehen. 

Josefs Zweifel
Die Krippe veranlasste viele Künstler dazu, die Geburt Christi in einen abgelegenen Stall zu verlegen, ganz nach europäischen Vorstellungen. Tatsächlich befand sich der Stall zu Zeiten Jesu im Vorderen Orient im untersten Stock des Gebäudes. Mensch und Tier lebten auf engem Raum zusammen. In vielen Darstellungen steht Josef abseits neben dem Geschehen, fast schon gelangweilt. «Der Anschein trügt», meint der Theologe Josef Imbach. «Josef ist nicht abwesend, er grübelt nach. Seine Bedenken, dass nicht nur Gott die Hand bei der Schwangerschaft im Spiel hatte (siehe Matthäusevangelium), belastet den Jungvater. Das Motiv des Josef-Zweifels, so Josef Imbach, erregte bei den Kirchenoberen zunehmend Anstoss, sodass es im 15. und 16. Jahrhundert gänzlich verschwand.

Frucht der Gegenreformation
Ihre Blütezeit erlebten die Krippen im Barock und während der Gegenreformation. Die prächtigen Darstellungen der Geburt Christi, um die sich unzählige Putten und Heilige scharen, setzten einen Kontrapunkt zur nüchternen Liturgie der Reformierten. Hier erlebten die Gläubigen, was damals vor 1500 Jahren im Stall in Bethlehem geschah. Andächtig sanken sie vor den Krippen auf die Knie. «Sie glaubten, dem wunderbaren Ereignis selbst beizuwohnen, mit eigenen Ohren das Wimmern des Kindes zu hören, mit eigenen Händen die Windeln zu ertasten, und ein Schauer erfasste sie», schrieb der Jesuit Philippe de Berlaymont 1619. 

Die Jesuiten erkannten das missionarische Potenzial des spirituellen Puppenspiels und liessen unzählige Krippen bauen. Berühmt sind die neapolitanischen Krippen, bei denen die Geburt in das hektische Treiben der süditalienischen Städte eingebettet ist. Manchmal zeigen die Figuren prominente Schauspieler und Politiker wie Matteo Salvini.

Die Krippen werden demokratisch
Im 18. Jahrhundert werden die Krippen demokratisiert. Die Heilige Nacht wird nicht nur in den Kirchen und den Schlössern der Adeligen gezeigt, sondern auch in den Stuben des gemeinen Volkes. Und auch das Szenario wird erweitert: Zahlreiche Alltagsfiguren mischen sich unter die Heiligen und erzählen neue Episoden. Jeder konnte jetzt am Heilsgeschehen teilnehmen, egal ob König, Bischof, Magd oder Taglöhner: Das Jesuskind strahlte für alle.

Die Aufklärung setzte dem Kult ein Ende
Die Angst vor dem revolutionären Geist der Weihnachtsgeschichte und die Säkularisierung setzten dem Krippenkult in der Zeit der Aufklärung ein Ende. In Bayern und Österreich unter der Kaiserin Maria Theresia wurden die Krippen aus den öffentlichen Gebäuden und Kirchen entfernt. Die Bürger und Bauern liessen sich den Weihnachtszauber nicht nehmen. Sie stellten die Hauskrippen weiterhin in ihren Stuben auf. Im Tirol schnitzten die Holzschnitzer Krippenfiguren in regionaler bäuerlicher Tracht. Und statt unter Palmen gebar Maria das Jesuskind nun in der alpinen Gebirgslandschaft.

Die Diskussion, ob Krippen auf «weltanschaulich neutralem Gebiet» stehen dürfen, geht bis heute weiter. In den USA entscheidet der Supreme Court, dass Krippen im öffentlichen Raum unproblematisch sind, wenn sie mit «kulturellen» Symbolen wie Santa Claus, Weihnachtsbaum oder Schneemann erscheinen. Und 2019 erklärte Papst Franziskus, ein Verbot der Krippen sei inakzeptabel. Er würdigte den Brauch der Weihnachtskrippen sogar in einem eigenen apostolischen Schreiben.

Die Krippe geht mit der Zeit
Mit der Botschaft der Geburt Christi haben sich auch die Weihnachtskrippen weltweit verbreitet. Krippen finden sich heute in den einstigen christlichen Missionsgebieten in Asien, Afrika und Lateinamerika – selbst bei den Reformierten. Und auch die Heilige Familie geht mit der Zeit. Der neueste Schrei ist die Hipsterkrippe für die Generation 2.0. Im Zentrum stehen Maria, Josef und das kleine Jesuskind im Look des 21. Jahrhunderts. Josef, mit Haar-Dutt, macht mit dem Smartphone ein Selfie der jungen Familie, Maria formt das Peace-Zeichen und nippt am Coffee to go. Esel und Ochse stammen natürlich aus biologischer Aufzucht, und die Heiligen Drei Könige rollen auf Segways zum Stall. 

Es scheint: Die Weihnachtsgeschichte und ihre Krippen leben weiter, trotz Kirchenaustritten und Säkularisierung.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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