«Eine Biene ist durch und durch sozial»
Wie sind Sie auf die Biene gekommen?
Ich bin in einer Familie mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Jedes von uns Kindern hatte ein anderes Hobby. Wir wohnten am Stadtrand von St. Gallen in einem Haus mit grossem Garten und unser Nachbar war Imker. Meine ältere Schwester hat von diesem einen Bienenschwarm bekommen, weil sie sich dafür interessiert hat. Mein Vater kaufte daraufhin Bienenkästen und baute ein kleines Bienenhaus. Das war der Anfang der Imkerei bei uns. Dann zog meine Schwester aus und die Bienen blieben da. Daraufhin habe ich ihr Hobby übernommen und es hat mich nicht mehr losgelassen.
Was fasziniert Sie an den Tieren?
Dass der Organismus Bienenvolk überhaupt existiert. Das ist ein unglaublich komplexes System. Eine einzelne Biene wäre verloren. Die Tiere müssen sich als Massenstaat organisieren. Wespen oder Hornissen überwintern, indem sich ihre Königin zurückzieht und im Frühling anfängt, langsam einen Staat aufzubauen. Bienen überwintern mit 5'000-10'000 anderen Artgenossen und wärmen sich gegenseitig. Im Frühling haben sie schon – wie die Ameisen – eine gewisse Volksstärke, deshalb sind sie für die Bestäubung von Bedeutung. Mich fasziniert das Zusammenleben in diesem Staat und die Kommunikation zwischen den Bienen, die so funktioniert, dass jede einzelne Biene instinktiv durch Hormone oder Duftstoffe weiss, was sie zu tun hat. Auch die Metamorphose von einer Made zur fertigen Biene mit Flügeln ist unglaublich. Die Natur und die Bienen sind so gut aufeinander abgestimmt. Ich staune jedes Mal aufs Neue darüber. Darüber hinaus gibt es noch so viele Rätsel über Bienen, die nur darauf warten, entschlüsselt zu werden.
Was haben Sie durch die Bienen mitgenommen in Bezug auf Ihren Glauben und unter dem Schöpfungsaspekt?
Bienen erinnern mich an ein Gleichnis im Römerbrief (Röm 12, 4-5). Dort vergleicht Paulus die christliche Gemeinschaft mit einem menschlichen Körper. So wie bei Paulus jeder Körperteil seine wichtige Aufgabe hat, ist auch jedes Gemeindeglied wichtig und auch jede Biene. Es braucht alle, um zu überleben. Wir Menschen sind im Vergleich zur Natur bescheidene Kreationen. Das löst in mir Ehrfurcht vor etwas viel Grösserem aus, das ich nicht durchschauen kann. Die Biene ist für mich deshalb ein wertvolles Mitgeschöpf, dem ich mit Respekt begegne.
Haben Sie auch schon einmal die Bienen als Motiv in Ihren Predigten aufgenommen?
Ja, schon zweimal anlässlich von Erntedank-Gottesdiensten. Das kam sehr gut an. Dazu habe ich Imker aus der Region eingeladen und diese zu ihrer Arbeit befragt. Aus Amriswil war Johanna Seiterle da, eine der besten Imkerinnen im Thurgau. Ich selbst bin nicht so ein guter Imker. (lacht)
Was können wir von den Bienen lernen?
Sehr viel. Gott hat uns zwei Bücher geschenkt: die Heilige Schrift und die Natur. Beide sind wichtig, denn beide führen uns zu Gott. Sie bestärken uns in unserem Glauben und helfen uns, dass Gottes Kraft unter uns wirksam ist. In einer Bienen-Gemeinschaft gibt es so viele verschiedene Dienste. Die Königin legt im Frühling bis zu 2'000 Eier am Tag. Das übersteigt ihr eigenes Körpergewicht. Es gibt Putzbienen, die Brutzellen reinigen, Ammenbienen, die Junge füttern und es gibt den Waben-Bautrupp. Daneben bewachen Wächterbienen den Stock und die Sammlerinnen bringen Pollen und Nektar oder Wasser zur Klimatisierung. Eine Biene ist durch und durch sozial und aufopferungsvoll. Wenn sie sticht, riskiert sie ihr Leben. Häufig kann sie den Stachel, der noch feine Widerhaken hat, nicht mehr aus der menschlichen Haut ziehen, was letztendlich ihren Hinterleib schwer verletzt.
Inwiefern fliesst Ihr Wissen über Bienen in Ihre tägliche seelsorgerliche Arbeit mit ein?
Das ist häufig ein Thema. Für mich bedeutet die Beschäftigung mit den Bienen Erholung und Entspannung, ich bin dann gleich in einer anderen Welt. Oft funktioniert das auch als Brücke. So komme ich über die Bienen auch ins Gespräch mit Menschen, die vielleicht nicht direkt mit der Kirche in Kontakt stehen.
Wie geht es den einheimischen Bienen? Wie wirken sich der Klimawandel oder invasive, aggressive Arten auf das Bienensterben aus?
Momentan ist die Varroa-Milbe die grösste Bedrohung. Sie ist aus dem asiatischen Raum eingewandert, befällt die Bienen-Brut und schleppt zudem Viren und Bakterien in den Bienenstock ein. Imker behandeln ihre Stöcke deshalb beispielsweise mit Oxalsäure, die sie tröpfeln oder verdampfen lassen. Den Bienen geschieht dadurch praktisch nichts, aber für die Milben ist das hochgiftig. Der Klimawandel wirkt sich dagegen eher positiv auf die Bienenvölker aus, weil diese Wärme mögen. Generell ist deren Anpassungsfähigkeit sehr gross.
(Interview: Sarah Stutte)
«Eine Biene ist durch und durch sozial»