Die Tochter erinnert sich
Es regnet. Die 87-jährige Elsbeth Schmid zeigt hinunter auf die Kirche und das Dorf Pfyn, in dem sie seit über 60 Jahren zuhause ist. Sie war eine der ersten Frauen im Kanton, die hier nach Einführung des Frauenwahlrechts in ein Führungsamt gewählt wurden: erst in die Kirchenvorsteherschaft der Evangelischen Kirchgemeinde Pfyn, später war sie zwölf Jahre Präsidentin. Die ausgebildete Krankenschwester kümmerte sich um ihre sechsköpfige Familie und führte zusammen mit ihrem Mann eine Tierarztpraxis.
Eltern gaben Geborgenheit
Schmid ist als zweites von sechs Kindern in Graubünden im Pfarrhaus aufgewachsen. Ihre Mutter war Greti Caprez-Rofler, die erste gewählte Pfarrerin in der Schweiz. Ihr Vater Gian Caprez-Rofler war Ingenieur, wurde durch seine Frau zum Theologiestudium inspiriert und trat ins Pfarramt ein. «Ich erinnere mich an das Mami, das mit uns spielte und Geschichten erzählte. Mami war streng, aber sie und Ätti waren auch stets ein Ort der Geborgenheit für mich.» Dass ihre 1906 geborene Mutter eine Vorreiterrolle für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einnahm und mit welchen Widerständen sie zu kämpfen hatte, wurde Schmid erst viel später bewusst.
Durfte Enkel nicht taufen
In Konfrontation zum damaligen Gesetz wählte das Bündner Bergdorf Furna die 25-jährige Theologin und Mutter Greti Caprez-Rofler im Jahr 1931 zu «ihrem Pfarrer». Drei Jahre betreute die illegale Pfarrerin allein die abgelegene Kirchgemeinde, den Ehemann sah sie nur am Wochenende. Später wurde sie Spital- und Gefängnisseelsorgerin in Chur. Erst 32 Jahre nach ihrer Wahl in Furna wurde die Theologin mit dem bereits reich gefüllten Erfahrungsrucksack aus Pfarramt, Seelsorge und Gemeindearbeit ordiniert. Das war 1963 durch die Zürcher Landeskirche im Grossmünster – zusammen mit elf weiteren Theologinnen. In ihrer Wohngemeinde Kilchberg durfte sie trotzdem nicht predigen. Der Pfarrkollege ihres Mannes war dagegen. Die Pfarrerin durfte zwar Vorträge im Frauenund Mütterverein halten, im Übrigen sollte sie sich auf die Rolle als Pfarrfrau beschränken. Elsbeth Schmid: «Es war kurios: Rund um Kilchberg hat meine Mutter vollwertige Pfarrstellvertretungen übernommen, nur in der eigenen Gemeinde war ihr die Kanzel versagt.» Auch ihren ersten Enkel durfte sie in Pfyn als Frau nicht taufen. «Wir waren zu früh, ein Jahr später wäre das im Thurgau möglich gewesen », bedauert Schmid.
Werthaltung weitergeben
Kraft, dies alles durchzustehen, bezog Greti Caprez-Rofler aus ihrem christlichen Glauben und ihrer Liebe zu ihrem «Ehekamerad » Gian. Ihr partnerschaftliches Verhältnis, das das Ehepaar pflegte, konnten die beiden beruflich auch noch im gemeinsamen Pfarramt im Rheinwald leben. Was Schmid von ihrer Mutter mitgenommen hat, ist eine positive Grundhaltung und die Begabung, vieles parallel zu bewältigen. «Als ich Mami für all das, was sie für mich war, danken wollte, winkte sie ab: ‹Du brauchst mir nicht zu danken, gib das alles deinen Kindern weiter›.»
(Brunhilde Bergmann)
Die Tochter erinnert sich