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Die Rückkehr ist schwieriger als die Flucht

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17.02.2020
Die christlichen Gemeinden im Irak zählen zu den ältesten im Christentum. Hundertausende Christen mussten vor dem Islamischen Staat flüchten. Jetzt kehren sie zurück und stellen fest, wie schwierig die Heimkehr ist.

Damals, erzählt Karam, stand er beim Friedhof der Stadt Alqosh und blickte nach Süden auf die Ninive-Ebene. Schwarzer Rauch stieg in den Himmel auf und von überall kamen Menschen, auf Pickups, zu Fuss, mit Schafen und Ziegen, sie waren voller Angst. Damals, das war anfangs August 2014. Einen Monat zuvor eroberte der Islamische Staat IS die Millionenstadt Mossul.

Viele flüchteten, darunter auch Karam, der Christ. Er fand mit seiner Frau und den beiden Töchtern Zuflucht in den alten christlichen Siedlungen der Ninive-Ebene nördlich von Mossul, zuerst in Karakosch, dann in Batnaya. Doch der IS rückte immer weiter vor, bis er auch diese Städte einnahm. So kam der heute 47-Jährige mit seiner Familie nach Alqosh, keine halbe Stunde Autofahrt von Batnaya entfernt.

Zu jenem Zeitpunkt, im August 2014, befanden sich bereits 130’000 Christen auf dem Weg nach Nordosten in die kurdischen Gebiete, die meisten flüchteten nach Erbil oder Dohuk. Als einzige der umliegenden Siedlungen in der Ninive-Ebene blieb Alqosh unversehrt. Karam kann es bis heute kaum fassen. «Wie durch ein Wunder machte der IS vor dem Stadttor von Alqosh Halt.»

Flucht nach Europa
Es war nicht das erste Mal, dass die Christen im Irak vertrieben wurden. In jüngerer Zeit und im Zuge des Krieges zwischen Irak und Iran (1980 bis 1988) mussten von den damals 1,4 Millionen Christen fast 500’000 das Land in Richtung Europa, Skandinavien und USA verlassen. Weitere 300’000 Christen flohen mit dem Ausbruch des Irakkriegs 2003, als sie zur Zielscheibe radikaler Sunniten wurden. Nach 2011 kehrten zwar viele zurück, doch dann kam der IS.

Inzwischen sind noch zwischen 200’000 und 250’000 Christen im Land, gut die Hälfte davon gehört der mit Rom unierten chaldäisch-katholischen Gemeinde an, zehn Prozent sind Assyrer und die restlichen Christen bekennen sich hauptsächlich zur syrisch-katholischen und syrisch-orthodoxen Kirche.

Zwar wurden nach der Vertreibung des IS die Flüchtlingslager der Christen in den Kurdengebieten nach und nach aufgelöst, und viele von ihnen kamen in die Ninive-Ebene zurück. Doch tun sich die Menschen bis heute schwer. Zahlreiche Dörfer wie Karamles oder Batnaya wurden von den islamistischen Terroristen fast vollständig zerstört. Auch sitzt das Misstrauen tief. «Der IS mag zwar weg sein, die Ideologie aber steckt noch immer in den Köpfen der Muslime», sagt Karam. Für ihn kommt eine Rückkehr nach Mossul jedenfalls noch nicht in Frage.

Obschon die Ninive-Ebene das angestammte Gebiet des irakischen Christentums ist – eines der ältesten weltweit –, sind dort höchstens 40 Prozent der Bewohner christlich. Seit langem schon leben sie hier mit Muslimen, Jesiden, Kurden sowie Angehörigen von kleineren ethnisch-religiösen Gruppen wie den Schabak zusammen.

Unklare Sicherheit
Unklar sind auch die Sicherheitsgarantien für diese Region. Die Ninive-Ebene gehört zu den sogenannten «umstrittenen Gebieten», die sowohl von der irakischen Zentralregierung in Bagdad beansprucht werden als auch von der Autonomen Region Kurdistan (ARK), an die sie angrenzen. Die meisten Christen möchten künftig lieber unter kurdischer Verwaltung leben, doch nicht wenige rümpfen auch die Nase. «Die Kurden haben uns geholfen, das stimmt. Doch sie haben uns auch verraten», sagt Karam. Als der IS im August 2014 in Karakosch und andere christliche Siedlungen einmarschiert sei, hätten die Kämpfer der kurdischen Peschmerga das Weite gesucht. «Und später, als der IS weg war und unsere Häuser leer standen, haben die Kurden sie geplündert.»

Auch in Alqosh fanden nach 2014 Muslime Unterschlupf, Konflikte gab es bisher aber keine. Die Stadt aus der Zeit des assyrischen Reichs zählt heute 6000 Einwohner, und seit 2017 hat hier eine Christin das Amt des Bürgermeisters inne, was wohl einmalig ist im Irak. Gleichwohl überlegt sich Karam zu gehen. «Ausser Landwirtschaft gibt es kaum Arbeit. Und der Weg nach Mosul, aber auch die Strassen nach Erbil und Dohuk sind von Checkpoints blockiert, ein Pendeln zwischen Alqosh und diesen Städten ist unmöglich.»

Doch wohin soll Karam gehen? Er kennt Leute, die von Mossul nach Erbil geflohen sind und jetzt in Ainkawa leben, einem Vorort von Erbil mit 40’000 Christen. Doch auch sie beklagen fehlende Perspektiven, sie fühlen sich benachteiligt und sehen sich als Opfer einer Regierung, die bloss fürs eigene Wohl sorgt. Für Karam sind das keine Probleme, die allein Christen angehen, er verweist auf die landesweiten Proteste seit dem vergangenen Oktober. «Die Menschen sind aufgebracht, speziell die Jugendlichen.»

Auslöser der Aufstände war eine soziale Unzufriedenheit, sie sich bereits im Sommer 2018 in Basra bemerkbar machte, dem Zentrum der irakischen Ölindustrie, und die sich immer mehr zuspitzte: zu wenig Strom und Wasser, keine Arbeit, Armut und vor allem Korruption trieben Menschen aus fast allen sozialen Schichten auf die Strasse, hunderte mussten bisher ihr Leben lassen, mehrere tausend wurden verletzt.

Ohne wirtschaftliche Perspektive keine Zukunft
Die Aufstände gingen vor allem von Bagdad und dem Süden des Landes aus, also von Regionen, die zuvor nicht vom IS eingenommen und zerbombt wurden. Dennoch gab es Zeichen der Solidarität auch aus den Kurdengebieten und speziell von Christen. Sie wissen besonders gut, wie aussichtslos es ist, ohne wirtschaftliche Perspektive auf eine bessere Zukunft zu vertrauen. Sie werden nur dann in ihre Dörfer und Städte zurückkehren, wenn sie eine intakte Infrastruktur, Arbeit und Einkünfte haben, die sie nachhaltig investieren können. Und nur wenn sie wieder in ihren Häusern leben dürfen, werden sie im Land bleiben. Ob dem so sein wird, ist unklar. Manchmal, sagt Karam, sei die Rückkehr schwieriger als die Flucht.

Klaus Petrus, Text und Bilder, kirchenbote-online, 17. Februar 2020

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