Die Kräfte des Friedens stärken
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den darauffolgenden massiven militärischen Reaktionen Israels steht der Nahostkonflikt im Fokus der Weltöffentlichkeit. Besonders die Lage im Gazastreifen, wo Hunderttausende Zivilisten zwischen Fronten und Blockaden gefangen sind, hat eine dramatische humanitäre Krise ausgelöst.
Im Juli bezeichnete der Weltkirchenrat ÖRK das Vorgehen gegen die Palästinenser als «System der Apartheid». Zudem forderte er die Staaten und Institutionen auf, Sanktionen oder Waffenembargos als Reaktion auf die Verstösse gegen das Völkerrecht zu ergreifen.
Der Begriff Apartheid in Bezug auf Israel ist in der Ökumene hochumstritten. Die elfte Vollversammlung in Karlsruhe im September 2022 endete mit dem Kompromiss: Der Weltkirchenrat hatte Israel damals nicht zum Apartheidstaat erklärt. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) umfasst derzeit 350 Mitgliederkirchen mit weltweit 580 Millionen Christen. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied, arbeitet jedoch mit.
Kirche ist Partei für das Leben und für die Würde von allen
Die Erklärung des ÖRK stiess auf breite Kritik, auch von Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS). Famos lehnt den Begriff «Apartheid» für Israel ab. Die EKS halte an ihrer Linie fest: Sie setze sich für die Achtung von Menschenrechten und Völkerrecht ein, für Sicherheit und Perspektiven für beide Völker. Die Kirche verurteile den Terror entschieden, fordere die Freilassung aller Geiseln und zugleich den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza, den Zugang zu humanitärer Hilfe und ein Ende der kollektiven Bestrafung.
Famos betonte, die Aufgabe der Kirchen sei es nicht, geopolitische Lösungen vorzugeben, sondern «Partei für das Leben und die Würde aller Menschen zu ergreifen, unabhängig von Nationalität und Religion».
Die EKS arbeite daran, dass der Konflikt nicht zu Spaltung und Hass in der Schweiz führe, und trete entschieden gegen Antisemitismus, antiarabischen Rassismus und Islamfeindlichkeit ein.
Im Gespräch mit «reformiert.» erklärt Rita Famos, sie beobachte eine zunehmende Lagerbildung: «Man muss sich zunehmend als propalästinensisch oder proisraelisch positionieren, bevor man gehört wird. Die Polarisierung blockiert echtes Mitgefühl.» Wahrheit beginne mit dem Hinschauen auf das Leid, auf die Verstrickungen und auf die Ohnmacht.
Kritik kommt auch aus der Nordwestschweiz. Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert wirft im jüdischen Wochenmagazin «Tachles» dem ÖRK eine offene antisemitische Haltung vor: «Der ÖRK tut sich offensichtlich schwer damit, dass es eine Heimstätte für Jüdinnen und Juden aus der ganzen Welt gibt», schreibt Kundert. Der ÖRK betreibe damit eine Täter-Opfer-Umkehr und laste dem jüdischen Staat an, dass man ihn «seit 77 Jahren aus dem Nahen Osten ausradieren will». Pfarrer Lukas Kundert ist Präsident der Swiss Church Israel.
Auch Alfred Bodenheimer, Professor für jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel, kritisiert die Erklärung des ÖRK. Er nennt sie eine «vergebene Chance für die Ökumene, den Dialog zwischen den Religionen» und eine «Absage an echtes Engagement für die vom Krieg betroffenen Menschen auf beiden Seiten».
Kirche versäumt, die Kräfte des Friedens zu stärken
Bodenheimer, der mit seiner Familie in Israel lebt und nach Basel pendelt, sieht in der Stellungnahme des ÖRK «selbstgefällige Gesinnungs-PR». Die rein antiisraelische Erklärung passe zur Israel-Boykottbewegung und diene nur dazu, sich «politbüromässig im globalen Süden Gehör zu verschaffen». Sie entbehre jeder Menschlichkeit und Hoffnung. «Sie hilft niemandem», sagt Bodenheimer.
Von einer kirchlichen Institution erwartet Bodenheimer anderes. Die Kirchen hätten noch immer moralisches Gewicht und könnten in dieser katastrophalen Lage den Dialog mit jenen suchen, die bereit sind, Veränderungen herbeizuführen. Sie sollten diesen friedfertigen Menschen den Rücken stärken, über Fronten hinweg vermitteln und Netzwerke aufbauen. Es gebe Israelis und Palästinenser, die sich nach Frieden sehnten und darauf warteten, gehört zu werden. «Diese Menschen werden oft von ihren eigenen Regierungen verraten und bedrängt. Sie stehen für den Frieden ein, dem sich auch die Kirchen verpflichtet fühlen sollten», so Bodenheimer.
(Mit Material des Nachrichtendienstes epd)
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