News aus dem Thurgau

«Die Emotionen sind spürbar»

von Roman Salzmann
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16.04.2023
Die ehemalige Thurgauer Regierungsrätin Carmen Haag ist kürzlich in ihrer neuen Rolle als Mitarbeiterin des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe nach Israel und Palästina gereist. Im Interview verrät sie ihre ersten Eindrücke.

Welche Funktion haben Sie beim Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe (SKH)?
Carmen Haag: Ich bin als Chefin Finanzen, Personal und Administration (CFPA) der jeweilig lokalen Büros des SKH vor Ort angestellt. In dieser Funktion trägt man die Verantwortung für diesen Bereich und je nach Grösse des Büros sind einem lokale Angestellte unterstellt. Die ersten sechs Monate führt man diese Arbeit an einem Ort aus, an dem bereits ein CFPA arbeitet, so dass man die Arbeit unter Aufsicht besser kennenlernen kann. Ich arbeite zurzeit im Kooperationsbüro der Schweiz in Ost-Jerusalem, welches in einigen Monaten in das Vertretungsbüro in Ramallah (Palästina) integriert werden soll.

Was hat Sie motiviert, diesen Job anzunehmen?
Schon vor 30 Jahren habe ich mich beim SKH – damals hiess es noch Schweizerisches Katastrophenhilfskorps – wegen einer Anstellung erkundigt. Vermutlich gab es damals ein Ereignis, ein grosses Erdbeben, welches die Arbeit des SKH in Erinnerung gerufen hat. Ich hätte sehr gerne geholfen. Ein paar Jahre später habe ich mich beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten für den diplomatischen Dienst beworben. Aber mein Abschluss der Fachhochschule hat damals nicht für eine Aufnahme gereicht. Mit meiner neuen Arbeit habe ich mir einen langjährigen Berufswunsch, in der Internationalen Zusammenarbeit tätig zu sein, erfüllt.

Der palästinensisch-israelische Konflikt ist so komplex, dass man in dessen Angesicht sehr demütig wird.

Was sind Ihre ersten prägenden Erfahrungen in diesem geschichtlich-politischen «Hotspot»?
In Jerusalem befindet sich auf kleinem Raum eine unglaubliche Konzentration an Wallfahrts- und Gedenkorten der drei grossen monotheistischen Religionen. Entsprechend bunt gemischt und unterschiedlich sind sowohl die Ansässigen als auch die vielen Besucher. Die grossen Emotionen, die diese Menschen beim Besuch der heiligen Orte verspüren, sind sicht- und spürbar. Diesen April hat es sich noch akzentuiert, da nicht nur die Christen Ostern und die Juden Pessach gefeiert haben, sondern auch noch Ramandan war und sehr viele Muslime insbesondere freitags den Tempelberg besucht haben. Aufgrund der Ereignisse in der Vergangenheit war allseits eine grosse Anspannung spürbar und es war sehr viel Militär und Polizei präsent. Viele Gläubige konnten aufgrund von Restriktionen ihre heiligen Stätten nicht wie gewünscht besuchen, was viele sehr aufgebracht hat.  

Die Israelis feiern im Mai 75 Jahre Staatsgründung. Aus palästinensisch-arabischer Sicht war dies eine Katastrophe. Mit der «Nakba» wird dem Exodus aus dem Gebiet gedacht. Wie nehmen Sie diese spannungsvolle Lage persönlich wahr, wenn Sie die Israelis einerseits und die Palästinenser andererseits im Fokus haben?
Die Palästinenser fühlen sich in ihrem eigenen Land sehr nachteilig behandelt und immer weiter eingeschränkt. Ich bin beeindruckt, wie die meisten dennoch ihre Herzlichkeit und Fröhlichkeit behalten und das Leben nehmen, wie es ist. Die Israelis ihrerseits sehen sich immer wieder konfrontiert mit Raketenangriffen, gerade kürzlich aus dem Gaza-Streifen und aus dem Libanon. Eine entsprechend hohe Bedeutung hat der ganze Sicherheitsapparat und die Landesverteidigung für sie. Ich nehme es als Teufelskreis war, der schwierig zu durchbrechen ist. Ich wünschte mir, beide Seiten könnten in Frieden miteinander leben.

Wie tragen Sie und das SKH zur Entspannung bei?
Es wäre vermessen, schon jetzt zu sagen, dass ich zur Entspannung beitragen kann. Es wäre schön, wenn ich es in Zukunft einmal sagen könnte. Generell hat der palästinensisch-israelische Konflikt eine sehr lange Geschichte. Er ist so komplex, dass man in dessen Angesicht sehr demütig wird. Die Schweiz versucht mit seinen Projekten und seinen guten Kontakten sowohl zum israelischen Staat wie auch zu den palästinensischen Behörden das Leben der palästinensischen Bevölkerung etwas zu verbessern. So werden z.B. die Gemeinden in ihren Aufgaben zu Gunsten der lokalen Bevölkerung unterstützt, etwa im Bereich der Wasser- und Elektrizitätsversorgung oder im Bereich der öffentlichen Infrastruktur. Lokale kleine und mittelgrosse Unternehmen werden befähigt, mehr selbst zu produzieren, damit weniger importiert werden muss. Und grad kürzlich konnten 5 Absolventen der Universtität in Gaza für 5 Monate in die Schweiz reisen und dort in Zusammenarbeit mit der EFPL bei Start-Up Firmen im technischen Bereich Erfahrungen sammeln. Für die meisten ist es ihre erste Reise in ein anderes Land.

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