News aus dem Thurgau

Diakonie wirkt gegen Armut

von Inka Grabowsky
min
07.08.2023
Kirchgemeinden engagieren sich traditionell für sozial Benachteiligte. Ihre Dienste werden trotz sinkender Arbeitslosenzahlen nachgefragt, weil nicht alles von staatlichen Stellen erledigt werden kann und die Teuerung zuschlägt.

Dienstagmorgen in Kreuzlingen: In der Küche des «Open Place» füllen Steffi Steffen, Heidi Bach und Marianne Schwarzer Harasse mit Obst, Gemüse, Brot und Wasser. Sie sind drei von etwa 15 Freiwilligen, die seit acht Jahren für die «VerwertBar» arbeiten. Der Verein verteilt unverkäufliche Lebensmittel, die lokale Einzelhändler zur Verfügung stellen. «Anfänglich kamen vielleicht zwanzig Personen», sagt Marianne Schwarzer, «inzwischen sind es – auch aufgrund der vielen Geflüchteten – rund hundert.»

Keine Vorverurteilungen

In der Wartezeit können sich die Menschen gratis im Café der evangelischen Kirchgemeinde Kreuzlingen versorgen. Ausserdem hat die Kleiderbörse geöffnet. Deren Umsatz steigt stetig. Gerade zu Beginn des Ukrainekriegs sei die Solidarität mit den Geflüchteten gross gewesen. «Jetzt hat sie abgenommen, die Anzahl der Bedürftigen aber nicht», sagt Pfarrer Damian Brot.

Der Theologe mit einem Master in Sozialer Arbeit beobachtet eine andauernde Vorverurteilung. «Es gibt die Einstellung, ‹Wer arm ist, hat selbst etwas falsch gemacht›. Ob ein Mensch arm oder reich ist, hängt aber nur zum Teil von der eigenen Leistung ab. Entscheidender ist der Wohlstand der Familie, in die man hineingeboren wird. Zudem ist es für viele Menschen schwer, sich in unserem komplizierten Wirtschafts- und Sozialsystem zurechtzufinden.»

Das Bundesamt für Statistik hat im Mai die neuesten Zahlen zu Armut in der Schweiz bekanntgegeben. Demnach mussten 2021 5,2 Prozent der Bevölkerung aus finanziellen Gründen auf Anschaffungen oder Aktivitäten verzichten. 18,9 Prozent der Bevölkerung können sich unerwartete Ausgaben von 2500 Franken nicht spontan leisten. Als «einkommensarm» gelten 8,7 Prozent. Sie verdienen also weniger als 2289 Franken.

Bei René Büchi werden aus diesen Zahlen konkrete Geschichten. Der Sozialarbeiter hat bei der kostenlosen Beratungsstelle für Arbeitslose der Evangelischen Landeskirche Thurgau viel zu tun. «Es wundert mich selbst, dass es trotz der sinkenden Arbeitslosenzahlen so viel Beratungsbedarf gibt, aber Menschen, die nicht gut ausgebildet sind oder persönliche Probleme haben, bilden die Sockelarbeitslosigkeit.» Büchi hilft bei Bewerbungen oder Streit mit den regionalen Arbeitsvermittlungszentren, formuliert Forderungen für ein angemessenes Arbeitszeugnis, verweist an das Sozialamt oder an die Budgetberatung. «Es ist auch viel Seelsorge dabei. Ich versuche, die Menschen zum Weitermachen zu motivieren.»

Teuerung verschärft Situation

Christian Mannale ist Budgetberater bei der Caritas Thurgau. «Die Leute müssten früher kommen», sagt er. «Viele verdrängen, was an Problemen auf sie zukommt.» Es sei nicht mit dem Bezahlen einer Rechnung getan, sondern ein strukturelles Problem. «Wenn ich zu den Working Poor gehöre, muss ich überlegen, was ich mir leisten kann. Gerade war ein Ehepaar mit Kindern da. Sie haben ein Auto auf Raten gekauft. Das geht zwei oder drei Jahre gut, bis dann eine hohe Rechnung anfällt.»

Auch die persönlichen Auslagen seien oft nicht realitätsnah geplant. «Die wenigsten sind sich bewusst, was sie pro Monat ausgeben – gerade jetzt mit der Teuerung.» Nur wenige seiner Klienten hätten Rückstellungen für die Nebenkostenabrechnung gemacht. «Manche glauben, ein Budget schränke ein. Dabei ist es das Gegenteil: Es gibt Freiheit.»

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