Der Täuferweg am Randen: Birnenstücke statt Fusseisen
Schleitheim hat Kirchengeschichte geschrieben. Nicht lokale, so nach dem Muster «versoffener Priester bedrängt Haushälterin und wird zum Teufel gejagt». Nein, «Schlaate», wie die Schaffhauser den Ort nennen, hat das Rad der Weltgeschichte ein klein wenig vorwärts gedreht.
Nur eben, die wenigsten haben davon eine Ahnung. Im Gasthaus zur Brauerei weiss man vom Museum Schleitheimerthal, doch wo es steht – ratloses Schulterzucken. Erst die Mutter in der Küche verrät, dass das Museum einen Steinwurf von der Kirche entfernt liegt. Doch es hat nur am ersten Sonntag im Monat geöffnet. So steht man bald vor verschlossener Türe.
Schade, denn das Täuferzimmer zeigt eines der wenigen Druckexemplare des Schleitheimer Bekenntnisses, das der Benediktinermönch Michael Sattler mit weiteren Täuferführern verfasste. Die «Confessio Schlattensis» ist die erste Bekenntnisschrift der Bewegung, die sich über die ganze westliche Welt verbreitete.
Beim Museum beginnt der Täuferweg, der über den «Chilcheraa» (Kirchenrain) auf dem Flursträsschen auf die Anhöhe führt. Vorbei an prächtigen Korn- und Blumenfeldern, die an Gotthelfs Erzählungen und biblische Gleichnisse erinnern. Die Sonne brennt unbarmherzig, in der Bruthitze schweigen selbst Vögel und Grillen.
Unrühmliches Kapitel der Reformation
So bleibt also genügend Zeit für einen Exkurs in die Kirchengeschichte, zurück zum Ursprung des Täuferwegs. 1523, auf dem Höhepunkt der Reformation, kommt es zum Bruch zwischen dem Zürcher Reformator Huldrych Zwingli und seinen Weggefährten Konrad Grebel, Felix Manz und Jörg Blaurock. Ihnen geht die Reformation zu wenig weit. Sie fordern Zwingli auf, sich stärker an der Bibel zu orientieren und lehnen die Kindstaufe, die Waffengewalt und den Schwur ab. Infolge verweist der Rat von Zürich die Anhänger der Bewegung aus der Stadt. Doch statt ihrer Lehre abzuschwören, gründen sie in Zollikon eine Gemeinde. Der Rat lässt die Führer festsetzen und später in der Limmat ertränken. Die Zeit der Täuferverfolgung beginnt.
Das Schleitheimer Bekenntnis
Die Täufer flüchten auf die einsamen Anhöhen, sie hoffen, dort sicher vor den Häschern zu sein. In Schaffhausen ziehen sich die Täufer auf die Randenhöhen zurück, von wo sie bei Gefahr über das Flüsschen Wutach auf deutsches Reichsgebiet gelangen. 1527 halten sie ihren Glauben in den sieben Artikeln im Schleitheimer Bekenntnis fest. Als die Zahl der Abtrünnigen am Randen zunimmt und sich «die Taufgesinnten weiterhin als halsstarrig erweisen», kerkert sie die Obrigkeit ein und vertreibt sie. Bestraft wird, wer den Täufern Unterschlupf gewährt.
Trotz Verfolgung, Repressalien und Ausweisung halten sich die Täufer bis Ende des 17. Jahrhunderts in Schleitheim. Als letzte Täuferin verlässt die Witwe Margaretha Bächtold das Dorf. Damit gibt es keine Täufer mehr am Randen. Dafür in der restlichen Welt: Spuren der Schleitheimer Täufer findet man heute noch in der Pfalz, im Kraichgau und in Nordamerika. Dort konnten die Glaubensflüchtlinge ihre Überzeugung frei leben und prägten das soziale und religiöse Leben ihrer neuen Heimat. So schrieb Schleitheim ein kleines Stück der Weltgeschichte. Und Schlaater Gene finden sich jenseits des Ozeans.
Dem Geist des Ortes nachspüren
Der Täuferweg zieht sich dahin und steigt an. Mit der Anstrengung und dem Schweiss, der sich im Nacken sammelt, wird klar, warum hier die Verfolgten in der Abgeschiedenheit Schutz vor den Häschern fanden. Bald einmal taucht der Weg in den Wald ein, die Kühle tut gut. In der Nähe der Hohlwege sollen in den Rodungen die Hütten der Täufer gestanden haben.
Ein anderer Strang des Täuferwegs führt vom Hemmental nach Zelgli. Dort steht der Täuferstein aus Schwarzwaldgranit, der zum Gedenken an die Verfolgung und zur Versöhnung gesetzt wurde. Der dritte Weg verbindet Merishausen mit dem Zelgli und führt an der Täuferquelle vorbei. Das künstlich angelegte Becken im Bachbett lässt ahnen, dass hier in aller Heimlichkeit Jugendliche getauft wurden.
Was bleibt vom Weg? Ein eindrückliches Stück Kirchengeschichte, das bewusst macht, wie rasch man Andersdenkende verketzert. Und dass es immer Unentwegte gibt, die sich dem widersetzen. Als der Schaffhauser Amtsweibel eine Täuferin verhaften sollte, brachte er ihr statt Hand- und Fusseisen Birnenstücke aufs Feld.
Tilmann Zuber, kirchenbote-online
Der Täuferweg am Randen: Birnenstücke statt Fusseisen