Depression: Auch Christen sind gefährdet
Pierre-Yves Robadey wuchs in einer katholischen Familie in Kanada auf. Das Wissen um Gott war immer präsent, während er den praktizierten Glauben kaum erlebte. Nach dem Umzug in die Schweiz war er einige Jahre lang Messdiener, aber in einer Sinnkrise erlebte er die christliche Religion als wenig stimmig. Vielmehr gefiel ihm die indigene Spiritualität, die er in Kanada erlebt hatte, weil sie den Menschen als integralen Teil der Schöpfung und in der Einheit mit dem Schöpfer sah. Auf der Suche nach dieser einheitlichen Gotteserfahrung waren christliche Mystiker seine stetigen inneren Begleiter. «Diese Einheitserfahrung machte ich erst später durch eine direkte Jesuserfahrung. Eine Begegnung, die mir absolute Klarheit und Gewissheit über die Präsenz Gottes verschaffte», betont Robadey. Von da an sei der christliche Glaube das Fundament seiner Alltagsgestaltung geworden.
Trauer als Heilkraft nutzen
Statt Trauer zu unterdrücken, habe er gelernt, sie als Heilkraft zu nutzen. Die Begleitung und Pflege seiner Ehefrau nach ihrer Erkrankung an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS sei von Tränen begleitet gewesen, wissend um den unausweichlichen Abschied und die irdische Trennung nach ihrem Tod. Der Glaube habe bei diesem Prozess insofern eine zentrale Rolle gespielt, als beiden bewusst war, wohin die anstehende Reise nach dem Übertritt führen würde. Der Glaube an Gott eröffne eine zusätzliche Dimension, sagt Pierre-Yves Robadey: «Je tiefer das Verständnis von der Gegenwart Gottes, einem uneingeschränkten Vertrauen auf seine Unterstützungs- und Heilkraft, umso stärker und ausgeprägter ist der Weg der inneren Befreiung und Heilung.» Während seiner Tätigkeit als Psychotherapeut fliesse der Glaube allerdings nur mit ein, wenn dies von den Klienten erwünscht sei.
Depressionen auch bei Christen?
Laut Robadey sind auch Christen gefährdet, wenn sie sich zu sehr vereinnahmen lassen von Erwartungen von Familie, Beziehung, Beruf, Umgebung sowie Medien oder wenn sie sich ungenügend,
wertlos oder nicht wahrgenommen fühlen und nicht respektiert und wertgeschätzt werden. Dabei liege die Aufmerksamkeit im Aussen und nicht bei einem selbst. Der Mensch versuche, der Um- und Mitwelt zu genügen und vergesse sich selbst dabei. Diese immerwährende innere Trennung von sich selbst und die mangelnde Fähigkeit zur Abgrenzung führten zur Erkrankung.
Seelsorgende besonders gefährdet
Menschen in seelsorgerlichen Berufen mit der Hinwendung zu den Leidenden und zu belastenden Situationen seien eigentlich prädestiniert, eine Depression oder ein Burnout zu entwickeln. Wichtig für den Seelsorgenden sei, zu verstehen, dass er keine Verantwortung oder Schuld an dem Zustand seines Gegenübers trage. «Er ist für dessen Situation nicht verantwortlich. Er darf dessen Not und Leiden nicht auf sich übertragen. Er und sein Mitmensch sind zwei getrennte, autonome Persönlichkeiten », betont Robadey. Seelsorgerische Präsenz bedeute vielmehr, unterstützend anwesend zu sein, Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen und die Mitmenschen in ihrer Selbstkompetenz zu stärken. Und für Christen bedeute es zudem, auf die Gewissheit von Gottes Wirken zu bauen.
Depression: Auch Christen sind gefährdet