Demokratisches Mittun erwünscht
Mal ehrlich: Wie häufig gehen Sie an Versammlungen? Es ist eine solche Selbstverständlichkeit, dass wir in der Schweiz demokratisch mitbestimmen und Weichen für die Zukunft stellen können. Der Wert einer Versammlung, sich selbst einzubringen, sich Luft zu machen, Kritik aber auch Lob auszusprechen, scheint aber geringer zu werden. Trotzdem möchten die befragten Kirchenvorstandspräsidentinnen und -präsidenten die Begegnungen mit den Stimmberechtigten auf keinen Fall missen – auch bei wenig Aufmarsch.
Falschinformationen unterbinden
Simon Schärer, seit fünf Jahren Präsident von evangelisch Berlingen, kann sich nicht beklagen. «Von gut 340 Stimmberechtigten kommen regelmässig zwischen 40 und 50 Personen an die einmal jährlich stattfindende Versammlung», sagt Schärer. Er führt das auf die sehr aktive Kirchgemeinde zurück. Brisante Themen, wie etwa das Einstellen des Kirchenglockengeläuts, mobilisieren meist noch mehr Stimmberechtigte. Bei finanziell grösseren Geschäften lädt die Behörde zum Podiumsgespräch. So sollen auch Gerüchte oder Falschinformationen unterbunden werden. Sorgen bereitet Schärer jedoch der Nachwuchs: «Wir versuchen, die Jungen über die Musik und über die Einbindung der Eltern für die Gemeinde zu interessieren.»
E-Voting als Chance
Nachwuchsprobleme kennt auch Heinz Stübi in Frauenfeld, seit sieben Jahren Präsident der mit 6500 Stimmberechtigten grössten evangelischen Kirchgemeinde. Stübi ist überzeugt: «Mit E-Voting würden auch die Jüngeren abstimmen.» Normalerweise nehmen je nach Traktanden zwischen 60 bis 90 Personen an einer Versammlung teil. An einer Urnenabstimmung im Mai 2020 hingegen beteiligten sich 660 Personen. «Das bedeutet, dass wir an der Urne mehr Rücklauf haben», sagt Stübi.
Doch eine schriftliche Abstimmung ist mit 10'000 Franken kostspielig. Zudem fehlt die Möglichkeit, sich direkt einzubringen. Wie wichtig dies ist, zeigte sich kürzlich, als ein Stimmbürger den Abriss einer Liegenschaft anzweifelte. Stübi nahm mit dem Votanten einen Augenschein und siehe da: «Das Haus ist nicht in einem so desolaten Zustand und wird in den Überbauungsplan miteinbezogen.»
Braucht Mut, aufzustehen
Wie entscheidend der Miteinbezug der Stimmberechtigten ist, hat auch Claudia Schindler, Präsidentin von evangelisch Amriswil-Sommeri erfahren. Mehrere Jahre plante die Behörde einen Neubau des Kirchenzentrums und veranstaltete dafür Infoanlässe. An der finalen Abstimmung im Januar 2023 wurde der Neubau von den 260 Stimmberechtigten deutlich gutgeheissen.
«Es hätten auch mehr Personen Platz gehabt», sagt Schindler in Bezug auf die gut 3500 Stimmberechtigten. Sie schätzt die persönliche Atmosphäre an Versammlungen, die Begegnungen und die Diskussionen, die in ihrer siebenjährigen Amtstätigkeit nie angriffig waren. «Es braucht Mut, aufzustehen und seine Haltung kundzutun», sagt Schindler.
Früh einbinden
Das Miteinbeziehen der Stimmberechtigten ist das A und O, um eine Gemeinde lebendig und jung zu halten, sagt Daniel Frischknecht, Coach und Mentaltrainer aus Bischofszell. Er hat drei Kirchgemeinden bei ihrer Fusion betreut und weiss: «Gerade bei grossen Themen ist es wichtig, die Leute früh in den Prozess einzubinden.» Nach dem Gottesdienst ankündigen, welche Themen an der nächsten Versammlung behandelt werden. Oder Workshopabende veranstalten, lautet sein Motto. An vielen Versammlungen werde nur noch Ja gesagt, ohne zu diskutieren. Damit ginge leider eine Kultur verloren, so Frischknecht.
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