Dem Ruf in die Mission gefolgt
Nach unserem Gespräch in der Kirchgemeindestube und dem Fotoshooting in der Kirche hat sich Helen Müller an die Orgel auf der Empore gesetzt, um zu üben. Es macht ihr Freude. Lang ist es her, seit sie dort als junge Frau die Gottesdienste in der Dorfkirche in Schönholzerswilen musikalisch begleitet hat.
«In der Kirche in Kamerun sind die Gottesdienste anders, lauter, lebendiger, mehr Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche, und sie dauern mindestens zwei Stunden», beginnt sie von ihrem Leben in der Mission im Tschad und in Kamerun zu erzählen. An den Gottesdiensten in ihrer Kindheits- und Jugendkirche schätzt die Afrika-Rückkehrerin die feierliche Atmosphäre, das Familiäre und dass sie sich nicht in einer Menschenmasse befindet.
Seit sie in Nord-Kamerun und Tschad gewesen ist, hat sie ein ungutes Gefühl, wenn sie sich in einer grossen Menschenmasse aufhält. Denn dort musste sie die Terroranschläge der islamistischen Boko Haram und die Vertreibung der Bevölkerung aus den Grenzgebieten miterleben.
Auf «Ruf» von Gott gewartet
Mit den Menschen der Kirchgemeinde Schönholzerswilen hat sich Helen Müller immer verbunden gefühlt. Schon vor ihr war eine Frau aus Schönholzerswilen in derselben Gegend in Afrika tätig gewesen. «Ich konnte sie besuchen, aber es war für mich lange nicht klar, ob Gott mich als Psychiatriekrankenpflegerin in Afrika haben wollte», erinnert sich Helen Müller.
Im ersten Aufenthalt wurde ihr klar, dass sie noch die Hebammenausbildung machen sollte, weil die medizinischen Kenntnisse aus der Psychiatrie nicht ausreichten. Als Hebamme könnte sie in der vom Islam geprägten Gegend gut den Frauen dienen. Es gab damals nur wenige Hebammen im Land. Die Kirchgemeinde Schönholzerswilen hat nach der Aussendung von Helen Müller im Jahr 1984 immer wieder Projekte in Kamerun unterstützt, bei denen sie mitgewirkt hat. Sie hat sich auch immer getragen gewusst durch die Gebete von treuen Fördererinnen und Förderern ihrer Arbeit aus der Kirchgemeinde Schönholzerswilen und darüber hinaus.
Bleibende Spuren hinterlassen
Der Abschiedsgottesdienst, mit dem Helen Müller am 25. August 2024 aus ihrer «Sendung» als Missionarin der Kirchgemeinde Schönholzerswilen entlassen wurde, stand unter dem Titel «Bleibende Spuren hinterlassen».
In der Rubrik «Ganz persönlich» der Zeitschrift von «SAM global» hat sich Helen Müller zu den Spuren ihrer Arbeit so geäussert: «Wenn man in Pension geht, fragt man sich, welche Spuren man hinterlassen hat. Ich habe in der medizinischen Arbeit sicher einiges bewirken können. Diesbezüglich denke ich an den Aufbau eines Basisgesundheitsdienstes an mehreren Orten mit Säuglingsberatung, Impfungen, Schwangerschaftskontrollen und vielem mehr. Seit wir uns aus Sicherheitsgründen aus Nordkamerun zurückziehen mussten, ist die medizinische Arbeit in afrikanischen Händen, und sie läuft gut weiter. Dafür bin ich dankbar.»
Gewissheit auf ewiges Leben
Den Menschen, mit denen Helen Müller in Afrika zusammengelebt und gearbeitet hat, ist der christliche oder der islamische Glaube wichtig – ja existenziell bedeutsam. «Das Leben ist bedroht. Immer wieder sterben Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt, ebenso ist die Kindersterblichkeit hoch. Die Menschen sind durch Krankheiten, Krieg und Gewalt und durch extreme Naturereignisse wie Dürre und Überschwemmungen bedroht», beschreibt Helen Müller die Lebensumstände in den Gebieten, in denen sie gearbeitet hat.
«In ihrem Glauben dürfen Christinnen und Christen die Gewissheit auf ewiges Leben haben. Diese innere Gewissheit ist auch für Muslime der Grund, Jesus nachzufolgen und trotz Verfolgung durchzuhalten.» Die Kirchen als Ort des Gottesdienstes, des gemeinsamen Gebets und der Gemeinschaft hätten einen viel höheren Stellenwert als in der Schweiz. Augenfällig sei dies geworden, als die Christinnen und Christen, die durch Boko Haram vertrieben worden waren, eine neue Heimat fanden: «Das Erste, was sie aufgebaut haben, waren Kirchen: Zuerst einen Platz unter dem Schatten von Bäumen, dann einen Unterstand mit einem Strohdach und dann eine neue Kirche», erzählt Helen Müller.
«Machet zu Jüngern alle Völker»
Benaja Schadegg aus Bischofszell kam mit seinen Eltern vor kurzem aus einem langjährigen Missionseinsatz in Papua-Neuguinea zurück und gewinnt mit seinem Bild einen Eintritt ins Conny-Land (Malwettbewerb).
Mission ist Lebensausdruck des christlichen Glaubens. Sie kommt aus der Ostererfahrung: Jesus Christus ist vom Tode auferstanden, er lebt. Diese Erfahrung machte aus einfachen Fischern Missionare, sie gab ihnen Kraft und Mut, mit ihrem Zeugnis vor die Welt hinzutreten: Sie bezeugten eine Begegnung, die sie überwältigt hatte, und sie erkannten den Auftrag des auferstandenen Herrn: «Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.» (Mt 28,19-20).
Mission ist also nicht etwas Zusätzliches zum christlichen Glauben. Was Jesus gesagt und getan hat und was ihm in Kreuz und Auferstehung widerfahren ist, ist für alle Menschen aller Zeiten und Orte bestimmt (aus: Evangelischer Erwachsenenkatechismus, Gütersloh, 1975). (er)
Dem Ruf in die Mission gefolgt