Dankbar für die Freiheiten
Für viele Menschen ist die Kirche ein Ort der Begegnung. Doch dieser kann seit Ausbruch der Pandemie nicht mehr wie gewohnt aufgesucht werden. Die Evangelische Kirchgemeinde Amriswil-Sommeri ging das Problem pragmatisch an. Beispielsweise werden kurze Doppelgottesdienste mit je 50 Personen durchgeführt. Während des Lockdowns veröffentlichte die Kirchgemeinde zudem wöchentlich eine kurze Videobotschaft der Pfarrer oder der Jugenddiakonin. Diese konnte über das Telefon gehört oder auf der Internetseite angeschaut werden. Eine Innovation – das Predigttelefon – bleibe wegen der positiven Resonanz auch nach der Pandemie bestehen, sagt Sekretärin Liliane Germann. So würden auch ältere Personen erreicht, die «weniger Zugang zu einer Videobotschaft haben».
Flexibel handeln
Die Kirchgemeinde Bischofszell-Hauptwil überträgt ihre Gottesdienste schon seit 2016 live im Internet. Seit Pandemiebeginn sei dieser Service ausgebaut worden, indem auch Präsentationen eingeblendet werden. «Ein Livestream ersetzt eine echte Begegnung nicht, ist aber eine gute Alternative», sagt Kirchgemeindeschreiber Adrian Rüegger. Die Pandemie habe gezeigt, dass sich vieles innert kurzer Zeit ändern kann und flexibler gehandelt werden müsse. Deshalb sei man kreativ geworden mit kurzen Videoandachten, «Suppe to go» anstatt einem Suppenzmittag vor Ort und Online-Seminaren. Zudem wurde entschieden, in der Kirche Hauptwil ohne Zertifikat, dafür mit Einschränkungen, und in der Johanneskirche in Bischofszell mit Zertifikat zu feiern. So blieben die Türen stets für alle offen.
Projekte vorantreiben
Corona scheint die Digitalisierung in Kirchen voranzutreiben. Auch die Evangelische Kirchgemeinde Wil setzt auf die Übertragung im Internet, wie Kirchgemeindeschreiber Markus Graf verrät. Die thurgauischen Aussengemeinden Wilen und Rickenbach profitierten ebenfalls von diesem Angebot. «Ein Livestream war bereits früher mal angedacht, wurde aber nicht angegangen.» Mit der neuen Situation sei das Projekt schnell umgesetzt und ein entsprechendes Equipment mit zwei fest installierten und einer mobilen Kamera angeschafft worden.
Austausch bleibt aus
Für gewisse Anlässe gibt es allerdings keine Alternativen wie für die Seniorenanlässen oder den Chilezmorge. Jene Anlässe mussten einige Zeit pausieren, bis die Personen ein Zertifikat besassen. «Man konnte sich lediglich nach dem Gottesdienst kurz für einige Worte im Freien austauschen, die Kommunikation und der Austausch mit der Kirchbürgerschaft sank auf ein Minimum», betont Liliane Germann.
Chancen nutzen
Die Pandemie bringe indes Chancen mit sich: «Ich bin davon überzeugt, dass man sich in unsicheren Zeiten wieder mehr dem Glauben zuwendet, nicht unbedingt aber der Institution Kirche», sagt Adrian Rüegger. Das bestätigt auch Germann. Die Vermutung, dass sich Personen während einer Krise vermehrt der Kirche zuwenden, könne sie nicht teilen. Und doch beobachtet Germann, dass die offenen Kirchen tagsüber vermehrt für ein Gebet oder die Stille aufgesucht werden.
Geschätztes Privileg
Gottesdienste konnten meist zertifikatsfrei mit beschränkter Teilnehmerzahl durchgeführt werden. Für Adrian Rüegger ist das ein Zeichen, dass die Religionsfreiheit in der Schweiz nach wie vor einen hohen Stellenwert hat. Keine andere «Branche», die Veranstaltungen durchführt, habe solche Freiheiten: «Dafür können wir sehr dankbar sein.»
(Jana Grütter)
Dankbar für die Freiheiten